Seit dem 1. Mai ist die Expo in Mailand geöffnet. Deutschland präsentiert sich mit seinem Pavillon „Felder der Ideen“. Dabei spielt ein rechteckiges Stück Wellpappe eine nicht unwichtige Rolle.
Mailand - „Ich liebe dieses Ding aus Pappe!“ Benjamin Ling hält ein rechteckiges Stück Wellpappe in den Händen, das eigentlich nach nicht viel aussieht: Auf der Vorderseite klebt ein weißes Blatt Papier, auf der Rückseite ist – nichts. „Es ist unglaublich, was man damit machen kann“, sagt Ling. Der 37-jährige Trickfilm-Zeichner aus Malaysia befindet sich auf der Durchreise in die Schweiz. In Mailand hat er einen Kurzstopp eingelegt, um die Expo zu besuchen.
Im Bauch des deutschen Pavillons bewegt Ling nun den gewellten Karton über einen handballgroßen, rotbraunen Pflanzensamen aus Styropor und Pappmaché. Und schon verwandelt sich das „Ding aus Pappe“ in einen Bildschirm, der einen animierten Kurzfilm über die blaue Süßlupine zeigt – laut Film „die heimische Alternative zu Soja“.
Im Zentrum der diesjährigen Weltausstellung stehen die Themen Energie und Ernährung. Die 148 teilnehmenden Nationen und Organisationen sollen Lösungsvorschläge für die Welternährung der Zukunft präsentieren. „Das Bundeswirtschaftsministerium nimmt das sehr ernst“, sagt Peter Redlin, Kreativdirektor und Geschäftsführer bei Milla und Partner. Das Stuttgarter Kreativ-Unternehmen verantwortet die inhaltliche Konzeption des deutschen Pavillons.
Dieser besteht in seinem Innern aus sechs Themengebieten: Wasser, Boden, Klima, Artenvielfalt, Lebensmittel und „Mein Garten der Ideen“. Die ersten vier Bereiche sollen die Besucher für die Kräfte der Natur als Quelle der Ernährung sensibilisieren. Die zwei folgenden Areale thematisieren die Welt des Konsums und der Produktion, aber auch zivilgesellschaftliches Engagement für eine nachhaltige Ernährung.
Roter Faden sind die Botschafter, die den Besuchern an den Infopunkten begegnen – „sechs Menschen, die jeder für sich einen Weg gefunden haben, aktiv zu werden“, sagt Peter Redlin. Benjamin Adrion etwa ist Botschafter der Wasserwelt. Der ehemalige Fußballprofi beim FC St. Pauli hat 2005 zusammen mit der Welthungerhilfe die Initiative „Viva con Agua de St. Pauli“ gegründet. Mit ihr engagiert er sich für die Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern.
Solarbäume sind das verbindende Element der Ausstellungsflächen
Unter der strahlenden Mailänder Sonne schreitet Redlin dem Deck des deutschen Pavillons entgegen. Dessen breite, hölzerne Rampe gleicht einer Steppdecke in verschiedensten Brauntönen, „ein Zitat der deutschen Kulturlandschaft“, so der Kreativdirektor. An seiner Seite: Marianne Pape, federführend für die Gestaltung der Ausstellung und somit Urheberin des Pappmaché-Lupinensamens.
Die frei begehbare Außenfläche des Pavillons dient den Besuchern als Picknick-Fläche und Aussichtsplattform – bei schönem Wetter kann man bis zu den Alpen sehen. Zudem stellen sich die 16 Bundesländer mit Themenstationen dort vor.
Das verbindende Element zwischen den beiden Schauflächen sind die sogenannten Solar Trees (Solarbäume): weiße Stahlskelette in der Form aufstrebender Pflanzen, die aus dem Innern des Pavillons emporsprießen und an der Oberfläche ihr schattenspendendes Blätterdach entfalten. Durch sie können die Besucher Kontakt aufnehmen mit den Menschen, die sich ein Stockwerk tiefer durch die Ausstellung bewegen.
Ihren Namen verdanken die Solarbäume den sechseckigen Solarmodulen, mit denen ihre Membrandächer bespannt sind. Tagsüber befüllen die Module Batterien an den stählernen Baumwurzeln mit Sonnenenergie, nachts bestrahlen Leuchtringe die Bäume – ein in sich geschlossener Kreislauf, ganz nach dem Vorbild der Natur.
Auf einer der Holzbänke im Schatten der Solar Trees sitzt eine Gruppe Spanisch sprechender Jugendlicher und trinkt Bier aus Plastikbechern. Eine vierköpfige Familie aus Holland verspeist daneben Vesperbrote. „Das Außendeck ist ein Ort, an dem sich die Besucher erholen und einen ersten Eindruck von Deutschland gewinnen können – ohne sich erst in die Warteschlange einreihen zu müssen“, sagt Pape.
In dieser stehen die Besucher oft eine halbe Stunde oder länger, bis sie vor dem zweiflügligen Tor des Pavillons ankommen. Am Eingang erhalten sie dann jenes „Ding aus Pappe“, das Ling so ins Herz geschlossen hat: das „Seedboard“ (Samentafel). Wie es funktioniert, wird den Besuchern mit einem Video gezeigt. „Wir haben ein sehr heterogenes Publikum – Menschen aller Altersklassen, aus ganz verschiedenen Ländern, die vor allem unterhalten werden wollen“, sagt Redlin. „Damit sie sich überhaupt mit der Ausstellung befassen, müssen wir sie ein Stück weit verführen.“
Das Werkzeug der Verführung ist das Seedboard: Ein Projektor spielt auf dem Tablet-ähnlichen Stück Pappe Texte, Bilder und Videos ab. Damit können die Besucher gemäß dem Motto des deutschen Pavillons „Be active“ (Sei aktiv) die mehr als 100 Exponate spielerisch erkunden. „Es ist aber nicht alles mit dem Seedboard erfassbar. Viele Stationen sind analog“, sagt Pape. Ihr war es wichtig, haptische Gegenpole zur Technik zu schaffen, „an denen man den Fingerabdruck des Menschen sieht“.
Als sich die Tür zur Ausstellung öffnet, sind die ersten Stationen schnell belegt. Sarah Budig hat sich einen Platz über einer Projektion des Bodensees ergattert. Intuitiv bewegt die 25-jährige Referendarin aus Bruchsal ihr Seedboard nach oben und unten. In kurzen Bild-Text-Abfolgen und Filmen erfährt sie mehr über die Zusammenarbeit Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zum Schutz des Gewässers. Mit einem Schwenk nach links navigiert sie zwischen den einzelnen Kapiteln. „Bis jetzt ist dieser Pavillon der informativste – andere sind eher schön anzuschauen“ , sagt Budig.
In der finalen Musik-Show wird das Seedboard zum Instrument
Nach den ersten vier bunten Bereichen findet sich der Besucher im Abschnitt „Lebensmittel“ in einem hohen Raum wieder. Weiß-graue Dosen, Schachteln und Flaschen stapeln sich in stilisierten Supermarktregalen bis an die Decke. „Der Verbraucher weiß oft nicht, was sich hinter einem Produkt verbirgt“, sagt Redlin, als er die Wendeltreppe zum letzten Bereich, dem „Ideen-Garten“, hinaufsteigt. Dort wachsen Oregano und Majoran in orangefarbenen Kisten, Salate sprießen in Kübeln an der Wand, dickbauchige Kürbisse hängen an Seilen von der Decke. Den Besuchern werden nachbarschaftliche Projekte gezeigt und Ideen mit auf den Weg gegeben, wie sie aktiv werden können – sei es mit selbst gebauten Bewässerungsanlagen aus Pet-Flaschen für den Balkon oder mit eingemachten Lebensmitteln für die Vorratskammer.
In der finalen Musik-Show wird das Seedboard dann zum Instrument. Kaum haben sich die Besucher in dem Raum versammelt, fordern die „BeeJ’s“ – ein Gitarrist und ein Beatboxer – sie auf, über den gewellten Kartonrücken zu kratzen oder rhythmisch damit zu klatschen. Über ihren Köpfen schweben zwei „Bienenaugen“ an Drahtseilen – von der Universität Stuttgart entworfene Projektionsflächen, die Berlin zeigen. Nach gut 15 Minuten treten die Besucher mit einem Ohrwurm im Kopf aus dem Pavillon in die Mailänder Sonne.
Rund 50 Millionen Euro hat die Expo-Teilnahme die Bundesregierung gekostet. Ob sich der Imageauftritt lohnt? „Der beste Pavillon“, lautet das Urteil von David (54) und Laury (55) aus Kanada. „Deutschland hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Die Ausstellung ist interaktiv, und man kann etwas lernen – wir haben uns schon gedacht, dass ihr das hinbekommen würdet.“