Ungerechtfertigte Panikmache? Demonstration von Greenpeace gegen Diesel-Abgase in Stuttgart Foto: dpa

Nach Ansicht des Lungenspezialisten Dieter Köhler werden die Gesundheitsgefahren durch Autoabgase bewusst aufgebauscht – aber das will keiner hören.

Stuttgart - Kürzlich war er in Ludwigsburg. Ein zweitägiges Symposium zum Thema Autoabgase. Dieter Köhler (69) hat dort einen Vortrag gehalten, die offiziellen Gesundheitsstudien zu Feinstaub und Stickoxiden in Grund und Boden geredet. „Diese Studien“, sagt er, „sind eine der größten Seifenblasen, die es gibt.“

Veranstaltet wurde das Symposium von AVL – einer österreichischen Firma, die unter anderem vom Entwickeln und und Testen von Motoren lebt. Köhler, wohnhaft in Schmallenberg (Nordrhein-Westfalen), hat seine Reisekosten selbst bezahlt. „Ich bin kein Büttel der Autoindustrie“, sagt er, „ich bin einfach ein kritischer Rationalist.“

Professor Dr. med Köhler war unter den deutschen Lungenexperten mal eine große Nummer. Fünf Jahre lang, von 2002 bis 2007, war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, er lehrte an den Universitäten Marburg und Freiburg und war fast 28 Jahre lang ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft in Schmallenberg. Seit 2013 ist er im Ruhestand, was ihm nach eigenen Angaben vor allem eines gebracht hat: vollständige Unabhängigkeit.

Es geht um Jobs und Forschungsgelder

Köhler muss nichts mehr werden, hat keinen Job mehr zu verlieren. Deshalb sei er einer der ganz wenigen, sagt er, die sich erlauben könnten, die Studien zu Feinstaub und Stickoxiden zu kritisieren. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte sich der Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Krankenhaus vom Roten Kreuz in Stuttgart, Martin Hetzel, getraut, Kritik an der Aufregung um die Feinstaubbelastung zu üben. Laut Köhler ist Hetzel ein kluger Mann. Ansonsten hält er von seiner Zunft und den Wissenschaftlern, die die Ergebnisse der Studien interpretieren, nicht mehr viel. Bei der Debatte um Autoabgase geht es seiner Ansicht nach in Wahrheit gar nicht um die Gesundheit der Bevölkerung. Es gehe um Arbeitsplätze und Forschungsgelder, um Opportunismus und um Ideologie. „Meine Kollegen bestätigen mir unter der Hand, dass ich Recht habe“, sagt Köhler. „Aber sie sagen dann: Das ist die falsche Botschaft.“

An Sevillas Straßen lebt man länger

Köhlers falsche Botschaft lautet: Die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub und Stickoxide werden bewusst aufgebauscht. Die bisherigen Studien hätten allenfalls eine minimale Erhöhung des Gesundheitsrisikos an vielbefahrenen Straßen festgestellt, sagt er. Da aber der Einfluss von Feinstaub und Stickoxid auf die menschliche Gesundheit minimal sei im Vergleich zu Faktoren wie Rauchen und Alkohol und Sport. Die beiden letzten Faktoren seien in den Studien aber gar nicht berücksichtigt worden, sagt Köhler. Deshalb könne man aus diesen Werten keine verlässlichen Schlüsse ziehen – nur Trugschlüsse. „Laut den Studien leben die Leute in Sevilla an vielbefahrenen Straßen länger“, sagt er. „Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass Feinstaub das Leben verlängert, wäre genauso unsinnig wie das, was jetzt behauptet wird.“ Es sei auch kein Nachweis erbracht worden, dass Feinstaub in höherer Dosis mehr Schäden verursache als bei niedriger Dosis. „Daran hätte man schon merken müssen, dass etwas faul ist“, so Köhler. Im Übrigen gebe es auch keine biologische Erklärung dafür, „warum der Feinstaub das alles im Körper anrichten soll“.

Falsche Interpretationen

Methodisch seien die Studien in Ordnung, sagt Köhler, sie würden aber von der Wissenschaft völlig falsch interpretiert. „Das finde ich moralisch verwerflich“, sagt er. Der Politik gibt er an der Entwicklung weniger Schuld als der eigenen Zunft. „Man hat das Thema Stück für Stück aufgeblasen, bis die Politik nicht mehr anders konnte und irgendwelche Grenzwerte und Verordnungen erließ“, meint er.

Köhler selbst fährt einen Diesel, weil der weniger Kohlendioxid ausstößt. Das Treibhausgas, das zur Erderwärmung beiträgt, hält er für ein viel wichtigeres Problem. Das Gleiche gelte für die vielen Staus in Ballungsräumen „aber das sind ganz andere Probleme, für die man andere Lösungen bräuchte“, sagt er. „Im Moment müssen Städte wie Stuttgart ihr Geld für den Kampf gegen Feinstaub und Stickoxid verplempern.“ Geld, das an anderer Stelle fehle – zum Beispiel auch im Sozialbereich.

Kritik wird totgeschwiegen

Die Welt hat übrigens kaum davon Notiz genommen, dass Köhler kürzlich in Ludwigsburg war. Über das Symposium findet sich im Internet so gut wie nichts, Köhler selbst kam immerhin in einem Radiobeitrag vor. In der Regel werde seine Kritik einfach totgeschwiegen, sagt Köhler. Dass Stickoxide und Feinstaub das Leben verkürzen, hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung von der bloßen Vermutung zur unumstößlichen Tatsache entwickelt. Köhler selbst will die Dinge weiter kritisch hinterfragen, macht sich über seinen Einfluss aber keine Illusionen. „Wenn alle in eine Richtung laufen“, sagt er, „dagegen kommst du nicht mehr an.“