Gibt es den Teufel? Wenn es das Gute gibt, muss es auch das Böse geben, sagen die Kirchen. Foto: Mauritius images

Rituale gegen den Teufel sind laut Experten keine Seltenheit in Deutschland. Ein mutmaßlicher Fall von Exorzismus in Frankfurt endet nach einem Gewaltausbruch tödlich.

Frankfurt/Main - Es muss ein langer, qualvoller Tod gewesen sein. Mindestens zwei Stunden lang prügeln fünf Verwandte in einem Hotelzimmer in Frankfurt auf eine 41 Jahre alte koreanische Frau ein, weil sie angeblich vom Teufel besessen war. Dann erstickt die Frau.

So stellen die Ermittler den Fall am Mittwoch dar. Fast unvorstellbar: Auch der 15 Jahre alte Sohn des Opfers soll bei dem Gewaltexzess mitgemacht haben. Selbst die Frankfurter Staatsanwälte, die schon in einige menschliche Abgründe geblickt haben, sprechen von einer grausamen Tat.

Fünf Verdächtige werden festgenommen

Die Polizei nahm die fünf Verdächtigen fest, darunter nach ersten Erkenntnissen auch den 15-jährigen Sohn der Getöteten. Ein Ermittlungsrichter erließ außerdem Haftbefehl wegen Mordes gegen eine 44 Jahre alte Frau, ihren 21 Jahre alten Sohn, ihre 19 Jahre alte Tochter und einen weiteren 15 Jahre alte Jungen. Das Quintett sitzt nun in Untersuchungshaft. Die Koreaner waren vor rund sechs Wochen nach Hessen eingereist.

Viele Fragen zu dem Fall sind noch offen. Handelten die Verdächtigen in Eigenregie? War es womöglich sogar der eigene Wunsch des späteren Opfers, den Teufel auszutreiben? Was ist der genaue religiöse Hintergrund? Und wer fand die Leiche?

War es ein Exorzismus?

Welche Religion die Gruppe hatte oder ob in dem Hotelzimmer Kultgegenstände gefunden wurden, war unklar. Die 44-Jährige hatte bei ihrer Vernehmung von dem Exorzismus berichtet. Ein Sprecher der Intercontinental Hotels Group (IHG) bestätigte den Vorfall, wollte sich aber nicht weiter dazu äußern. Wer die Tote entdeckt hat, war zunächst unklar.

Den Ermittlungen zufolge sollen die fünf Verdächtigen bereits am vergangenen Samstag der 41-Jährigen immer wieder auf den Bauch und den Brustkorb geschlagen haben. Um die Schreie der Frau zu unterdrücken, stopften sie ihr ein Handtuch in den Mund. Wie die Obduktion ergab, erstickte die Frau schließlich. Ihr Körper war von Hämatomen übersät, in ihrem Mund steckte ein Kleiderbügel. Ob die Tat womöglich auf ihr eigenes Verlangen geschah, war unklar.

„Nach derzeitigem Kenntnisstand fügten die Beschuldigten dem Opfer über einen Zeitraum von mindestens zwei Stunden Schmerzen und Qualen zu, wobei ihr Handeln von einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung getragen war“, berichtete die Staatsanwaltschaft. Oberstaatsanwältin Nadja Niesen sprach von einer ungewöhnlichen und grausamen Tat. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte sie.

Ein weiteres mögliches Exorzismus-Opfer wird gefunden

Als die Beamten die Familienmitglieder vernahmen, erfuhren sie von einem weiteren möglichen Opfer: In Sulzbach im Taunus entdeckten sie in einem Haus eine schwer verletzte Frau. Sie war den Angaben zufolge unterkühlt und dem Verdursten nahe. Das Haus hatten die mutmaßlichen Täter gemietet, dort aber nur sporadisch gewohnt. Ob auch die Verletzte mit ihnen verwandt war, blieb zunächst unklar.

Doch was treibt allgemein Exorzisten zu einer Teufelsaustreibung? Der Wiesbadener Kriminologe Rudolf Egg sagt: „Die Täter glauben, etwas Gutes zu tun.“ Die Austreibung eines bösen Geistes könne dabei sogar den Tod rechtfertigen. Dadurch sei der angeblich von den bösen Geistern befallene Mensch wenigstens erlöst. Egg verweist auf die Geschichte: Auch in der westlichen Welt sei es bei psychisch Kranken früher gängige Vorstellung gewesen, dass der Teufel von ihnen Besitz ergriffen habe.

Der Fall Anneliese Michel

„Wir haben sechs Teufel aus der Anneliese ausgetrieben“

Der tödliche Exorzismusfall von Frankfurt weckt Erinnerungen an die Studentin Anneliese Michel, die vor rund 40 Jahren in Franken ums Leben gekommen war. Die 23-jährige Pädagogikstudentin, die epilepsiekrank war, starb am 1. Juni 1976 an den Folgen extremer Unterernährung. Während der Monate, in denen zwei katholische Geistliche den Exorzismus vollzogen, verweigerte sie zunehmend das Essen. Zum Schluss war sie auf 31 Kilogramm abgemagert. Die Exorzisten kamen damals ein-, zweimal pro Woche ins Haus der Familie nach Klingenberg am Main. Sie sollten Anneliese Michel im Auftrag des damaligen Bischofs von Würzburg, Josef Stangl, vom Teufel befreien. Doch die „religiöse Therapie“ von Pfarrer Ernst Alt und Pater Arnold Renz, die 67-mal den Großen Exorzismus an der jungen Frau praktizierten, schlug fehl.

Ihre strenggläubige Familie und die Geistlichen, die sich abgeschottet und keinen Arzt gerufen hatten, wurden 1978 wegen fahrlässiger Tötung zu jeweils sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Pfarrer Alt gab damals zu Protokoll: „Wir haben sechs Teufel aus der Anneliese ausgetrieben.“

Der Fall löste harsche Kritik an der katholischen Kirche und eine Debatte über ihre Riten aus - und diente als Vorlage für zwei Film, „Der Exorzismus der Emily Rose“ (2005) und „Requiem“ (2006). Seit diesem Seelendrama ist - laut Deutscher Bischofskonferenz - in Deutschland kein Exorzismus mehr durchgeführt worden. Stattdessen erhalten vermeintlich Besessene umfassende „ärztliche Hilfe“.

Katholische Kirche praktiziert weiter Teufelesaustreibungen

Johannes Lorenz vom Bistum Limburg erläutert, dass Teufelsaustreibungen in der katholischen Kirche zwingend die Erlaubnis des Bischofs benötigten. Diese Erlaubnis sei an äußerst strikte Regeln geknüpft, die ärztliche und psychologische Gutachten miteinbezögen. Die Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth, die ihre Doktorarbeit über den Fall Anneliese Michel geschrieben hat, berichtet, dass dennoch Exorzismen ohne kirchliche Genehmigung stattfänden. Wie viele es sind, lasse sich aber nur schwer schätzen.

Der Journalist Marcus Wegner, der sich seit vielen Jahren mit Exorzismus befasst, geht davon aus, dass es vier bis fünf inoffizielle Exorzismen pro Tag in Deutschland gibt - „verteilt auf alle Religionen, Konfessionen und Abspaltungen“, wie er sagt. „Ein bis zwei davon in der Esoterik-Szene, wo die Menschen auch Geld dafür bezahlen, dass sie befreit werden.“ Hinzu kämen - ohne offizielle Genehmigung - Exorzismen aus den Reihen der katholischen Kirche, auf dem Vormarsch seien außerdem freikirchliche evangelische Sekten.

Körperverletzung gehöre nicht zu einem normalen exorzistischen Ritual, betont Wegner. Allerdings gebe es auch solche Teufelsaustreibungen, bei denen massiv auf den vermeintlich Besessenen eingeschlagen werde. Solche Exorzisten rechtfertigten sich meist damit, dass sie nicht auf den Menschen, sondern auf den Teufel einschlügen.

Das Exorzismus-Ritual

Wie Kirchen den Teufel austreiben

Unter Exorzismus wird in vielen Religionen die rituelle Vertreibung böser Mächte oder Geister aus Menschen, Tieren oder Gegenständen verstanden. In der Katholischen Kirche war der Exorzismus von „Besessenen“ im Mittelalter gang und gäbe. Heute unterliegt er strengen Auflagen.

Zum Exorzismus (griechisch: exorkismós, das Hinausbeschwören) gehören in der katholischen Kirche das Besprengen mit Weihwasser, die Anrufung Gottes und das Handauflegen. Nach den Kirchenvorschriften darf die „Teufelsaustreibung“ nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Ortsbischofs durch einen Priester vorgenommen werden, „der sich durch Frömmigkeit, Wissen, Klugheit und untadeligen Lebenswandel auszeichnet“. Zuvor müssen alle medizinischen oder psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein.

Ablauf eines Exorzismus-Rituals

Es gibt „Anzeichen“, an denen ein Priester erkennen kann, ob Satan von einer Seele Besitz ergriffen hat: wie das Sprechen fremder, dem Besessenen unbekannter Sprachen, unnatürliche körperliche Kraft oder abgrundtiefe Abneigung gegen Gott. Ablauf: Der Priester besprengt den „Besessenen“ mit Weihwasser, legt ihm die Hände auf, betet und liest aus der Bibel. Dann bittet er Gott um Befreiung vom Bösen und befiehlt dem Teufel, den Besessenen zu verlassen. Dämonen: Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: Der Exorzismus diene dazu, „Dämonen auszutreiben oder vom Einfluss von Dämonen zu befreien, und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus seiner Kirche anvertraut hat“. Der Hauptdämon sei ein „gefallener Engel, der Satan oder Teufel genannt wird“.

Das Böse ist für die Kirche eine Glaubenswahrheit

Für die Katholische Kirche ist die Existenz des Bösen eine Glaubenswahrheit. Das Rüstzeug, mit dem Priester dem Bösen zu Leibe rücken, heißt offiziell Großer Exorzismus. 1614 wurde sein Ablauf in dem liturgischen Buch "Rituale Romanum" geregelt. Die überarbeitete Version von 1999 trägt den Titel "De exorcismis et supplicationibus quibusdam" (Über die Exorzismen und Bittgebete, die sich darauf beziehen). In verschiedenen christlichen Kirchen, vor allem in evangelikalen und charismatischen Gemeienden sind zudem "Befreiungsdienste" entstanden, die sich eine ähnliche Aufgabe gestellt haben.

Der Große Exorzismus ist ein theologisches Befreiungsritual, kein esoterischer Hokuspokus. Die Richtlinien sind streng: So muss die Teufelsaustreibung von einem Bischof angeordnet werden. Um religiöse Besessenheit von psychiatrischen Störungen zu unterschieden, muss der Priester ärztlichen Rat einholen. Der Exorzist müsse "mit Klugheit und Nüchternheit streng nach den von der Kirche aufgestellten Kriterien vorgehen", heißt es in einem Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz. "In keinem Fall ist der Exorzismus ein Ersatz für ärztliche Bemühungen."

Der Priester sieht den Teufel, der Arzt die Krankheit

Anders als in Deutschland sei der Dämonenglaube in Italien, Frankreich, Lateinamerika oder Afrika tief in der Volksreligiosität verwurzelt. Auch in evangelikal-charismatischen und pfingstlerischen Gemeinden spiele Besessenheit eine zentrale Rolle. Der „Befreiungsdienst“ gehört dort zum Alltagsgeschäft.

Wo der Exorzist den Teufel sieht, diagnostiziert der Arzt eine Geisteskrankheit. Psychosen, Epilepsien oder Schizophrenien können nicht mit Hilfe von Gebeten und Beschwörungsformeln therapAnneliese Michel von 1984 heißt es, dass Schizophrenien durch das Befragen und die Benennung von Dämonen- oder Teufelsnamen erst ausgelöst werden können.