„Jetzt denke ich nur noch nach vorne. Die Vergangenheit ist abgehakt“, sagt Großkreutz über seinen Neuanfang beim SV Darmstadt 98 Foto: Bongarts

Vor wenigen Monaten noch dachte Kevin Großkreutz an sein Karriereende. Nach dem Rausschmiss beim VfB Stuttgart war das Fußballerleben des 29-Jährigen quasi vorbei. Jetzt wagt er beim SV Darmstadt 98 in der 2. Liga den Neuanfang.

Darmstadt - Die linke Schulter von Kevin Großkreutz zeugt von besseren Tagen. Die dort in die Haut gestochenen Abbilder der WM-Trophäe, der Meisterschale und des DFB-Pokals erinnern an Zeiten, in denen der 29-Jährige noch sportlich für Schlagzeilen sorgte. Nach zahlreichen Skandalen wagt der Weltmeister nun in der 2. Fußball-Bundesliga bei Darmstadt 98 einen Neuanfang. Der Oldschool-Verein vom Böllenfalltor könnte dafür genau die richtige Adresse sein. In der Vorbereitung auf den Saisonstart der Lilien am Samstag (15.30 Uhr) gegen die SpVgg Greuther Fürth wirkte Großkreutz gelöst, lachte viel im Trainingslager im österreichischen Haus im Ennstal - Bilder, die Anfang März bei seinem tränenreichen Abschied von der Fußball-Bühne in weiter Ferne schienen.

Vorläufiges Karrierende in Stuttgart

Vorausgegangen war ein Nachtklubausflug des damaligen Stuttgarters mit minderjährigen Jugendspielern des VfB, der in einer Schlägerei mitsamt Krankenhausaufenthalt endete. Der Rausschmiss beim späteren Zweitliga-Meister war die Folge, und Großkreutz kündigte eine Pause auf unbestimmte Zeit vom Profifußball an.

Chronologie: So kam es zum Rausschmiss in Stuttgart

Nur knapp einen Monat später jedoch unterschrieb der sechsmalige Nationalspieler für die neue Saison bei Bundesliga-Absteiger Darmstadt. „Ich habe vier Monate Zeit gehabt, habe mich zurückgezogen, viel mit meiner Familie und meinen Freunden geredet“, sagte Großkreutz zum Trainingsauftakt der Hessen und versprach: „Jetzt denke ich nur noch nach vorne. Die Vergangenheit ist abgehakt.“

Der Pokalsieger von 2012 weiß, dass er nach nächtlichem Ausflug mit blauem Auge, Döner-Wurf-Affäre und Pinkel-Skandal endlich wieder auf dem Platz für Aufsehen sorgen muss - weitere Fehltritte sind tabu. „Ich will nochmal alles raushauen“, tönte Großkreutz bei der Saisoneröffnung der Lilien selbstbewusst. Ein großer Fürsprecher des Allrounders, der die Erfahrung aus 186 Bundesligaspielen mit Borussia Dortmund und Stuttgart mitbringt, ist Darmstadts Trainer Torsten Frings. „Er wollte mich unbedingt“, verriet Großkreutz: „Ich hatte ein gutes Gefühl, er hatte ein gutes Gefühl, dann hat das gepasst.“ Und auch der Coach ist sich sicher: „Er ist ein feiner Typ, ein sehr guter Charakter. Von daher wird es da keine Probleme geben.“

Hohe Ansprüche an Großkreutz

Der Anspruch an den prominenten Neuzugang, der einen Vertrag bis 2019 besitzt, ist am Böllenfalltor allerdings groß. Zusammen mit Kapitän Aytac Sulu und Routinier Hamit Altintop soll der zweimalige Meister-Spieler die Mannschaft anführen, die in der Sommerpause mit Talenten wie McKinze Gaines oder Marvin Mehlem (beide 19) stark verjüngt wurde. „Ich bin mir meiner Verantwortung durchaus bewusst, und das will ich jetzt auch umsetzen“, sagte Großkreutz dem Wiesbadener Kurier. Dabei gibt es wenige Klubs, die besser zum Champions-League-Finalisten von 2013 passen als die 98-er. Seit jeher überzeugte Großkreutz als nimmermüder Kämpfer auf und als fannaher Fußballromantiker auch neben dem Rasen - Eigenschaften, die er mit den Lilien gemein hat. „Es ist sehr viel Tradition dahinter, das sieht man ja auch am Stadion. Wir haben gute Fans, es wird mit Herz und Leidenschaft gespielt. Das ist das Wichtigste für mich“, sagte der gefallene Star, der wie das baufällige Stadion am Böllenfalltor schon bessere Tage gesehen hat.

Die Knochenmühle 2. Bundesliga scheint für einen fußballerischen Neuanfang von Ackergaul Großkreutz, der in Darmstadt die linke Außenbahn umpflügen soll, jedoch wie gemacht. „Das ist eine Liga, wo es immer zur Sache geht. Das ist genau mein Spiel“, sagte der Ur-Dortmunder unlängst dem Kicker. Und sollte das Projekt von Erfolg gekrönt sein, würde Großkreutz auf seinem Rücken sicher auch noch Platz für ein Tattoo der Zweitliga-Meisterschale finden.