Die Homepage des ehemaligen Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger. Foto: dictum law communications

Der ehemalige Spielführer des VfB Stuttgart erntet viel Lob für sein Coming-out. Oliver Bierhoff hält Hitzlsperger für einen klugen Kopf.

Stuttgart - Frühsommer 2009. Die Sonne scheint, die Temperaturen sind mehr als angenehm – und Thomas Hitzlsperger erscheint gut gelaunt zum Interviewtermin. Was auch kein großes Wunder ist.

Unter Trainer Markus Babbel hat der VfB Stuttgart eine sagenhafte Aufholjagd gestartet, im bevorstehenden Bundesligafinale kann das Team den Einzug in die Champions League klar machen, und das Gastspiel beim FC Bayern ist für den gebürtigen Münchner sowieso eine Garantie für Vorfreude. Da kann er die im Training erlittene Niederlage gegen Christian Träsch verschmerzen – im Versuch, per Fernschuss den Querbalken zu treffen. Ertappt fühlt er sich dennoch: „Ich sage ja immer, dass wir nicht mit Zuschauern trainieren sollen“, witzelt der damals 27-Jährige. Viel besser, so scheint es, kann das Leben als Fußballprofi gar nicht sein. Thomas Hitzlsperger macht sich dennoch seine Gedanken.

Wie eigentlich immer. Das jüngste von sieben Geschwistern gehört seit jeher nicht zu jenen, die Sorglosigkeit für eine ehrbare Tugend halten. „Gerade die erfolgreichen Phasen sind gefährlich“, sagt er damals, „man darf sich nicht in die Tasche lügen.“ Und: „Es ist immer entscheidend, sich zu hinterfragen.“ Was Hitzlsperger in den vergangenen Jahren vermutlich recht oft getan hat. Nun endlich hat er eine klare Antwort parat und macht sie öffentlich – weil er den Moment für „einen guten“ hält.

Im September 2013 hat der heute 31-Jährige, der zuletzt beim FC Everton in England spielte, seine aktive Fußballerlaufbahn beendet – als Folge der zahlreichen Vereinswechsel und der vielen Verletzungen. Womöglich aber auch, weil er es einfach leid war, sich verstellen zu müssen. Denn: In einem an diesem Donnerstag erscheinenden Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ bekennt sich Thomas Hitzlsperger dazu, homosexuell zu sein: „Erst in den letzten Jahren dämmerte es mir, dass ich lieber mit einem Mann zusammenleben möchte.“ Und das nicht mehr nur im Verborgenen. Zwar habe er sich „nie dafür geschämt, dass ich nun mal so bin“, sagt er, ein „langwieriger und schwieriger Prozess“ sei es dennoch gewesen, bis ihm bewusst geworden sei, homosexuell zu sein. Nun wagt er als erster Ex-Fußball-Nationalspieler in Deutschland das Coming-out – das weithin positiv beurteilt wird.

Blendendes Verhältnis zu Kollegen

Regierungssprecher Steffen Seibert wertet es als gut, dass Hitzlsperger „über etwas spricht, was ihm wichtig ist“. „Dass er sich öffentlich bekennt, verdient Anerkennung“, sagt Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), erklärt, sein Respekt vor dem ehemaligen Nationalspieler sei „jetzt noch weiter gewachsen“. VfB-Sportvorstand Fredi Bobic lobt: „Das ist sehr mutig.“ Und Cacau meint: „Dadurch ändert sich nichts an meinem Respekt für und meine Freundschaft zu ihm.“

Der gebürtige Brasilianer spielte einst mit Hitzlsperger gemeinsam beim VfB Stuttgart – und kam nicht nur auf dem Fußballplatz blendend mit dem Kollegen aus. „Wir haben uns damals sehr gut verstanden und hatten tolle Gespräche über Gott und die Welt“, erinnert sich Cacau. Das Thema Homosexualität habe in den Unterredungen damals keine Rolle gespielt. Deshalb sagt der Stürmer auch: „Das hätte ich nicht gedacht.“ Obwohl es immer wieder entsprechende Gerüchte gegeben hatte. Erst recht, nachdem Hitzlsperger im Sommer 2007 die Hochzeit mit seiner langjährigen Freundin kurz vor dem Termin hatte platzen lassen. Nicht nur deshalb sagt Mark Friedrich: „Völlig überraschend kommt das für mich nicht.“

Friedrich ist Vorsitzender des einzig schwul-lesbischen Fanclubs des VfB Stuttgart, des Stuttgarter Junxx, und – keine Frage – ebenfalls voll des Lobes für den Mann, der das vielleicht letzte großen Tabu des Fußballs gebrochen hat. „Ich freue mich, dass endlich ein deutscher Fußballprofi diesen Schritt wagt“, sagt er, „und ich freue mich auch, dass es ein ehemaliger VfB-Spieler ist, noch dazu derjenige, der uns 2007 zur Meisterschaft geschossen hat.“

Der Titelgewinn mit dem VfB Stuttgart in der Saison 2006/2007 war der größte sportliche Erfolg Hitzlspergers, der seine Karriere in der Jugendabteilung des FC Bayern begonnen hatte. Im Jahr zuvor war er Teil der deutschen Nationalmannschaft, die bei der Heim-WM das Sommermärchen schrieb. 2008 wurde er Vize-Europameister, danach kam der gebürtige Münchner sportlich immer mehr aus dem Tritt. Im Januar 2010 verließ er den VfB und wechselte zu Lazio Rom. Nicht wenige sagten damals: ausgerechnet.

Großes Engagement gegen Rechtsextremismus

Der italienische Hauptstadtclub ist berüchtigt für seine teils faschistischen Anhänger, Hitzlsperger dagegen ist schon damals bekannt für sein soziales Engagement – vor allem gegen Rechtsextremismus. Oliver Bierhoff beschreibt den ehemaligen VfB-Kapitän daher als „geradlinigen Charakter und klugen Kopf“. Bundestrainer Joachim Löw sagt: „Ich habe Thomas immer als ehrgeizigen, zuverlässigen Profi kennengelernt.“ Und als einen, der weiter denkt als bis zur Strafraumgrenze.

Hitzlsperger ist Zeitungsleser, wälzt Bücher und galt als Musterprofi, der private Sonderschichten schob, als er merkte, dass beim VfB unter Trainer Christian Gross nicht hart genug trainiert wurde. Abseits des Fußballplatzes wirkte er höflich, bescheiden und unaufgeregt, den dicken Schlitten ließ er in der Garage, zum Training fuhr er – im Gegensatz zu den meisten Kollegen – in einem Mini vor. Entsprechend kritisch beobachtete er die Boombranche Profifußball, der er kürzlich den Rücken kehrte.

Thomas Hitzlsperger hat sich endgültig für seinen eigenen Weg entschieden – der nun andere beeinflussen könnte. Denn die Fragen liegen auf der Hand: Hat der Ex-Nationalspieler mit seinem Coming-out eine Mauer eingerissen? Folgen ihm weitere ehemalige Profis? Oder gar noch aktive Stars?

„Ich bin zuversichtlich, dass sexuelle Neigungen im Fußball bald kein Thema mehr sind“, sagt Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger. Fredi Bobic glaubt, dass ein Coming-out zumindest für Ex-Profis „in vier, fünf Jahren Normalität sein wird“. Und Mark Friedrich sagt: „Ich denke, dass es nicht mehr lange dauert, bis sich aktive Fußballer bekennen. Vor allem, wenn die Sache bei Thomas Hitzlsperger positiv ausgeht.“ Besonders schlimme Anfeindungen erwartet er in einem solchen Fall ohnehin nicht, da er bei seinen Stadionbesuchen seit Bestehen seines Fanclubs (2005) eine gute Entwicklung beobachtet habe. Selbst mit Ultra-Gruppierungen seien die Stuttgarter Junxx im Gespräch, und fällt doch mal ein schwulenfeindlicher Spruch, scheut sich Friedrich nicht, den Urheber anzusprechen. „Meistens stoße ich auf Verständnis“, sagt er. Das Thema bleibt dennoch ein heikles.

Gruppenzwang kann enorm sein

„Man weiß nie, wie das große Publikum in den Stadien vor allem bei Auswärtsspielen reagiert“, gibt Niersbach zu bedenken, „das kann verletzend und belastend sein.“ Es soll noch immer Scheinehen geben, um homosexuelle Stars zu schützen, ein schwuler Bundesligaprofi gab 2012 zwar ein Interview – jedoch anonym. Daher schränkt auch Hitzlsperger ein: „Wer ein Gefühl für die Stimmung in einer Mannschaft hat, der weiß einfach, was angesagt ist. Der Gruppenzwang kann enorm sein.“ Und Oliver Bierhoff, den Hitzlsperger früh eingeweiht hat, sieht gerade den sportlichen Ruhestand des 52-maligen Nationalspielers als „Vorteil“: „Er kann sich zurückziehen.“ Wenn er das will.

Derzeit nutzt der 31-Jährige die Bühne, die sich ihm dank seiner Vorreiterrolle bietet. Bewusst vor den Olympischen Spielen in Sotschi habe er sich an die Öffentlichkeit gewagt – in Russland gilt ein Gesetz, das positive Äußerungen über Homosexualität in der Öffentlichkeit verbietet. „Ich denke, es braucht kritische Stimmen gegen die Kampagnen mehrerer Regierungen gegen Homosexuelle“, sagt Hitzlsperger und ergänzt: „Ich will die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen.“ Und damit auch ein bisschen das sein, was er einst auch als VfB-Kapitän sein wollte.

Damals, im Frühsommer 2009, als er im Interview sagte: „Ich möchte ein Vorbild sein und respektvollen Umgang vorleben.“