Cacau: Früher Stürmer des VfB Stuttgart, heute Integrationsbeauftragter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) Foto: Baumann

Der Besuch von Mesut Özil und Ilkay Gündogan beim türkischen Präsidenten Recep Erdogan hat für viele Diskussionen gesorgt. Cacau, einst Stürmer beim VfB Stuttgart, ist Integrationsbeauftragter des DFB – und bezieht Stellung.

Stuttgart - Er ist in Brasilien geboren, hat in Deutschland aber nicht nur sportlich längst seine zweite Heimat gefunden: Cacau schaffte es nicht nur in die Bundesliga, sondern spielte auch für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft und ist heute Integrationsbeauftragter für den Deutschen Fußball-Bund (DFB). In dieser Funktion hat er eine klare Meinung zum Fall Mesut Özil/Ilkay Gündogan.

Cacau, wie bewerten Sie als Integrationsbeauftragter des DFB die Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Machthaber Recep Erdogan?
Mich hat das schon sehr überrascht. Das war ein absolutes Eigentor. Ich kann sehr gut verstehen, dass sich hier viele Menschen aufgeregt haben. Mesut Özil und Ilkay Gündogan haben sich aus meiner Sicht leider für den Wahlkampf von Recep Erdogan instrumentalisieren lassen. Erdogans Haltung etwa bei der Pressefreiheit verbieten es aus meiner Sicht, hier zu solch einem PR-Foto anzutreten. Gleichzeitig kenne ich gerade Mesut gut, und ich weiß, dass beide immer alles für unsere Mannschaft geben.
Werfen diese Bilder den deutschen Fußball in seinen Bemühungen um die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zurück?
Nein, auf gar keinen Fall. Aber es hilft der Integration auch nicht unbedingt weiter. Der Fußball schafft es ja tatsächlich, alle zusammenzubringen. Das gelingt durch den Fußball mehr als fast durch jede andere Instanz. Jeder fünfte Mensch, der im DFB Fußball spielt, hat einen Migrationshintergrund. Ich selbst reise als Integrationsbeauftragter des Verbandes durchs ganze Land. Alleine 2017 waren das 30 Termine. Fußball hat einfach den großen Vorteil, dass unser Sport weltweit beliebt ist. Fußball wird überall gespielt. Man kann also sofort mitspielen, egal woher man kommt. Und auf dem Platz zählt nicht die Hautfarbe oder Religion, sondern nur die Leistung.

„Keine trennenden Grenzen“ im Nationalteam

Die Nationalmannschaft gilt als Musterbeispiel für gelungene Integration – steht dieser Ruf nun auf dem Spiel?
Auch hier bin ich mir ganz sicher. Genau diese Vielfalt und diesen Zusammenhalt schätzen die meisten Fans an dieser großartigen Mannschaft. Oliver Bierhoff hat bei der Bekanntgabe des WM-Kaders noch mal betont, wie wichtig gerade jetzt der Teamgedanke ist. Ich habe das ja selbst erlebt, nicht zuletzt während der WM 2010. Da gibt es keine trennenden Grenzen im Team. Jeder bringt sich ein, die Nationalmannschaft ist da wirklich wie ein Modell fürs ganze Land. Heute spielen hier Boateng, Khedira, Özil und Sané genauso wie Reus, Müller, Neuer, Brandt und Kroos. Diese Mischung hat uns flexibler und bestimmt nicht schlechter gemacht.
Was halten Sie von Forderungen, die beiden sollten nicht mehr für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft spielen?
Das ist völlig überzogen. Mesut ist Weltmeister und stand schon 2010 im Team. Wenn Ilkay gesund bleibt, werden wir alle noch viel Freude an ihm haben. Beide haben in den vergangenen Jahren alles für die Nationalmannschaft gegeben und werden jetzt in Russland auch alles geben. Oliver Bierhoff wird jetzt im Trainingslager mit beiden reden. Ich hoffe, sie haben aus ihren Fehlern gelernt.
Das System Erdogan steht für Menschenrechtsverletzungen, eingeschränkte Pressefreiheit und einen schonungslosen Umgang mit Kritikern. Gündogan sagte, das Treffen sei eine Geste der Höflichkeit gewesen. Wäre nicht vielmehr eine klare Distanzierung angebracht, schließlich gelten Özil und Gündogan als Vorbilder und vertreten als deutsche Nationalspieler demokratische Werte?
DFB-Präsident Reinhard Grindel hat gesagt, dass der Fußball für Werte wie Fair Play und Vielfalt steht. Ich kann mich dem nur voll und ganz anschließen. Und eigentlich ist auch traurig, dass die türkische Politik diese beiden tollen Sportler für eigene Zwecke eingespannt hat.

Cacau über das Los der Zuwanderer

Können Özil und Gündogan noch als Vorbilder bezeichnet werden?
Auf jeden Fall. Beide sind überragende Fußballer. Durch diesen Fehler wird ja nicht alles gelöscht, was sie geleistet haben.
Sie kennen die Situation, sich zwei Nationen zugehörig zu fühlen. Ist es schwierig, als öffentliche Person damit umzugehen?
Jeder Zuwanderer kennt das, man fühlt zwei Herzen in der eigenen Brust schlagen. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich meine brasilianischen Wurzeln nicht vergessen, aber ich habe mich geöffnet. Man muss sich mit dem neuen Heimatland auseinandersetzen. Heute lebe ich mit meiner Frau und meinen drei Kindern in einer Gemeinde bei Stuttgart. Mein ältester Sohn drückt Deutschland mehr als den Brasilianern bei der WM die Daumen. Aber jedes Jahr fliegen wir als ganze Familie auch immer gerne nach Brasilien. Ich habe das schon oft gesagt: Ich bin zu 100 Prozent Brasilianer – und zu 100 Prozent Deutscher.