Reinhold Zech wartet auf ein Spenderherz Foto: Peter Petsch

Der frühere VfB-Kapitän Reinhold Zech (67) wartet seit sieben Jahren auf ein Spenderherz. Und er gibt die Hoffnung nicht auf. Neuen Mut macht ein Vorstoß der Landesärztekammer.

Oberriexingen - Es ist ein Nachmittag im November. Der Himmel ist bedeckt, die Temperaturen mild. Reinhold Zech sitzt auf einem dunklen Lederhocker im Wohnzimmer seines Hauses in Oberriexingen (Kreis Ludwigsburg) – und wartet. Seit sieben Jahren führt der frühere Kapitän und Vorstand des VfB Stuttgart nun schon dieses Leben im Wartestand – „ein Leben im Leerlauf“, wie er es selbst nennt. Seither wartet er auf einen Anruf. Jedoch nicht auf irgendeinen Anruf. Es ist jener aus dem Transplantationszentrum der Uniklinik Heidelberg, dass ein für ihn passendes Spenderherz gefunden sei.

Zechs Herzprobleme begannen unbemerkt während seiner aktiven Karriere

Auslöser seiner Herzprobleme war ein stummer Infarkt, den er sich wohl während seiner aktiven Fußballkarriere beim VfB (1968 bis 1975) oder beim 1. FC Saarbrücken (1975 bis 1979) durch einen Schlag gegen die Brust zugezogen hat. „Damals habe ich es nicht bemerkt“, sagt er. Es bildeten sich natürliche Bypässe, ein Teil des Herzmuskels vernarbte. Vor neun Jahren dann, als Zech wegen einer Thrombose im Bein ins Krankenhaus eingeliefert wurde, stellten die Ärzte fest, dass ein taubeneigroßer Thrombus an der Herzwand hängt und der Herzmuskel über all die Jahre erheblich an Leistung verloren hatte. Vor sieben Jahren dann kollabierte Zech gleich mehrmals, verbunden mit dem lebensgefährlichen Kammerflimmern. Seither trägt er einen Herzschrittmacher und einen Defibrillator in der Brust. Seither bringt sein Herz nur noch 14 Prozent Leistung. Und seither steht er auf der Warteliste für ein Spenderherz.

Mit 25 Tabletten, die er pro Tag einnehmen muss, hangelt er sich durchs Leben. Mit Familienhund Anton geht er regelmäßig spazieren, sonst verlässt er das Haus nur noch selten. „Ich meide große Menschenmassen, damit ich mir nicht eine Grippe oder eine andere Erkrankung einfange“, sagt er. Im Transplantationszentrum in Heidelberg untersuchen ihn die Ärzte einmal pro Quartal. Sie checken sein Herz und bestätigen seinen Status auf der Warteliste. Weil er nicht ständig auf der Intensivstation betreut werden muss, gilt er aber nicht als „high urgent“ – als hochdringlich. „Ich kriege nur ein Organ, wenn es auf keinen Intensivpatienten passt“, erklärt der 67-Jährige.

DSO vermeldet leichten Anstieg an Organspendern

Insgesamt warten derzeit rund 10 400 Menschen in Deutschland auf die Transplantation mindestens eines Organs. Dem standen im vergangenen Jahr nach Angaben der Stiftung Eurotransplant 851 Organspender und 3288 transplantierte Organe in Deutschland gegenüber – so wenige wie noch nie zuvor seit dem Beginn der Zahlen im Jahr 2000. Nach mehreren Manipulationsskandalen in den vergangenen Jahren scheinen viele Menschen in Deutschland das Vertrauen in die Transplantationsmedizin verloren zu haben. Zwar vermeldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) für den Zeitraum von Januar bis Oktober dieses Jahres wieder einen leichten Anstieg der Organspender (736 statt 713), die Zahl der tatsächlich gespendeten Organe ging aber weiter zurück (2455 statt 2501). Die DSO ist die Koordinierungsstelle für Organspenden in Deutschland.

Vergleicht man die Spender pro eine Million Einwohner, stehen Deutschland im europäischen Vergleich und Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich weit unten in der Tabelle. Doch woran liegt das? „Es gibt nicht den berühmten Schalter, den man umlegen muss, um andere Verhältnisse zu haben“, sagt Christina Schleicher, die Geschäftsführende Ärztin der DSO in Baden-Württemberg: „Es sind verschiedene Faktoren, die unsere Ergebnisse beeinflussen. Einer der Gründe, warum in anderen Ländern so viel mehr Spenden möglich sind, sind die gesetzlichen Voraussetzungen. Diese bedingen wiederum die Abläufe in den Kliniken. In Ländern wie etwa  Spanien und Österreich müssen die Bürger aktiv widersprechen, wenn sie ihre Organe nach einer irreversiblen Hirnschädigung  nicht spenden wollen. Dort werde jeder Patient zunächst so behandelt, als wolle er seine Organe spenden, erklärt Schleicher. In Deutschland erfolgt die Behandlungsstrategie unabhängig von der Möglichkeit einer Organspende.“

Entscheidungslösung in Deutschland

Die Regelung zur Entscheidungslösung hierzulande ist seit November 2012 in Kraft. Sie sieht vor, dass jeder Bürger regelmäßig so umfassend informiert wird, um eine Entscheidung zur Organspende treffen und diese auch dokumentieren zu können. Für die Aufklärung sind die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Krankenkassen zuständig. Sie senden den Versicherten alle zwei Jahre Informationsmaterial zur Organspende und einen Organspendeausweis zu. Erst vor kurzem haben die Krankenkassen wieder Briefe an die Versicherten verschickt. Auf dem Organspendeausweis kann man sein Nein verzeichnen oder einer Spende bestimmter oder aller Organe zustimmen. Hat der Patient den Spenderausweis nicht ausgefüllt oder seine Entscheidung in einer anderen Form kundgetan, fordert das Gesetz, dass die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entscheiden.

Zwar liegt die Zustimmungsquote der Angehörigen in Deutschland nach Angaben der DSO bei rund 60 Prozent. „Entscheidend ist jedoch, dass die Transplantationsbeauftragten auf den Intensivstationen überhaupt erkennen, wenn bei einem Patienten ein endgültiger Hirnfunktionsausfall zu erwarten ist. Dann stellt sich die Frage, ob eine Organspende im Sinne des Patientenwillens möglich wäre. Hierzu ist außerdem ein Gespräch mit den Angehörigen zu führen“, erklärt DSO-Ärztin Schleicher: „Wir gehen deshalb jetzt das Thema an, die Strukturen und die Abläufe in den Entnahmekrankenhäusern zu verbessern.“

Für Reinhold Zech ist dieser Schritt längst überfällig. „Wenn bei unserem Entscheidungsrecht die Organisation wenigstens stimmen würde, wäre den Wartenden schon viel geholfen“, sagt er – und fordert: „Potenzielle Organspender dürfen künftig einfach nicht mehr durch den Rost fallen.“

Landesärztekammer fordert „angemessene Freistellung“ für Transplantationsbeauftragte

Laut Landeskrankenhausgesetz ist jede Klinik mit Intensivbetten im Südwesten mittlerweile verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen. Eigentlich, so sieht es das Gesetz vor, sollte die Klinik ihren Transplantationsbeauftragten für diese Aufgabe in einem „notwendigen Umfang“ freistellen. Doch die Realität sehe anders aus, sagt der Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Ulrich Clever. Er bemängelt, dass der „überwiegende Teil“ der Transplantationsbeauftragten bisher nicht ausreichend freigestellt würde. Es gebe „an vielen Krankenhäusern“ keine klar definierten Regelungen und auch keine Vertretungsregelungen: „Vielfach kommen engagierte Transplantationsbeauftragte ihren Aufgaben deshalb auch in der Freizeit oder sogar im Urlaub nach“, sagt Clever.

Der Arzt aus Freiburg plädiert dafür, „den persönlichen Einsatz auf ein rechtssicheres Fundament zu stellen, so dass in allen Krankenhäusern gleichartige Bedingungen herrschen können.“ Denn eine dem Arbeitsaufkommen angemessene Freistellung sei das „zentrale Element, das über den Erfolg beziehungsweise Nichterfolg der Bemühungen um eine erfolgreiche Organspende und Transplantation mitentscheidet“.

112 Entnahmekrankenhäuser in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg gibt es nach Angaben des Sozialministeriums 112 Entnahmekrankenhäuser und mehr als 150 Transplantationsbeauftragte. Sie werden von der DSO in Zusammenarbeit mit der Landesärztekammer geschult – mit einem dreitägigen Grund- und einem zweitägigen Aufbaukurs. Das sei einer von mehreren Schritten in die richtige Richtung, sagt DSO-Ärztin Schleicher. Aber: In vielen Krankenhäusern fehle im Moment noch die Struktur. Vieles hänge vom persönlichen Engagement des einzelnen Transplantationsbeauftragten und der Krankenhausmitarbeiter ab. Und auch der Landesärztekammerchef Clever kommt zu dem Schluss: „Das Profil der Transplantationsbeauftragten ist vielfach noch nicht gereift.“

„Meine Hoffnung ist, dass ich beim nächsten Mal dran bin“

Trotz seiner Situation, die Zech als „frustrierend“ beschreibt, hat der Oberriexinger die Zuversicht, dass er bald den Anruf aus Heidelberg bekommt, nicht verloren. „Ich bin und bleibe positiv“, sagt er. Er nimmt einen Schluck Kaffee und blättert durch aktualisierte Organspendezahlen von Eurotransplant, die er sich jeden Monat am Computer neu ausdruckt und akribisch studiert. „So sehe ich, dass andere Kranke von der Warteliste in meinem Alter und mit meiner Blutgruppe Herztransplantationen haben“, sagt er, „meine Hoffnung ist dann immer, dass ich beim nächsten Mal dran bin.“

Denn nichts wünscht sich Zech sehnlicher, als wieder ein „ganz normales Leben“ führen zu können. Er würde mit seiner Frau Rose eine Fernreise mit dem Flugzeug machen und Gartenarbeiten wieder selber erledigen, sagt er: „Aber am allerschönsten wäre es, einfach wieder ungebunden zu Veranstaltungen gehen zu können – ohne diese Angst haben zu müssen, dass ich den Anruf verpassen könnte.“

Bis es so weit ist, bleibt sein Leben im Leerlauf.