Früher Trumpf-Chef, heute Buchautor: Berthold Leibinger Foto: Daniel Moritz

Berthold Leibingers Leidenschaft fürs Unternehmertum ist nun in seinem Buch nachzulesen.

Stuttgart - Der ehemalige Trumpf-Chef Berthold Leibinger hat Wirtschaft immer auch als "kulturelle Aufgabe" gesehen. Seine Leidenschaft fürs Unternehmertum und die Literatur fügt er nun in seinem Buch zusammen.

Es war ein Herbsttag im Jahr 2005, als Berthold Leibinger alle überraschte. Seine Tochter Nicola Kammüller-Leibinger wurde seine Nachfolgerin. Eine promovierte Philologin. Nicht Peter Leibinger, der als Kronprinz galt. Der seiner Mutter schon aus dem Kindergarten Zeichnungen von Motoren mitbrachte. Zum 1. Juli 2003 wurde Peter Leibinger Geschäftsführer der Trumpf Holding und Sprecher des Geschäftsbereichs Lasertechnik. Viele wunderten sich, als Leibinger 16 Monate später nicht den ausgewiesenen Techniker, sondern die Literaturwissenschaftlerin an die Spitze eines Unternehmens setzte. In seinem Buch "Wer wollte eine andere Zeit als diese", das am 25. Oktober erscheint, gibt er einen Einblick in die Moral einer ungewöhnlichen Familie. "Ich habe jede Zeile selbst geschrieben."

Seine ganze Kraft fürs Unternehmen

In dem Buch gibt er Einblicke in eine Familie, die nicht wie manche andere an einer Herausforderung scheitert, vor die jedes Familienunternehmen irgendwann gestellt wird: an der Nachfolgeregelung. Auch nicht, wenn diese auf den ersten Blick ungewöhnlich aussieht. "Man muss sich immer an sein eigenes Denk- und Wertegerüst" halten, sagt Leibinger unserer Zeitung. Das Gerüst der Familie ist im Glauben verankert - und eben in der Literatur.

Leibinger zitiert Texte, die das wirtschaftliche Handeln der Familie prägen. Das Lieblingsgedicht seiner Mutter etwa von Paul Fleming: "Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann, dem ist die weite Welt und alles untertan." Beherrschen müssen sich in der Familie alle. Auch Nicola Leibinger, die mit vier Kindern ein Unternehmen mit etwa 8000 Mitarbeitern leitet. "Die Firma ist alles", hat sie einmal gesagt. "Da muss jeder Einzelne zurückstecken." Auch für Leibinger gab es früher in erster Linie Arbeit. Keine "Nebenfreuden", wie er es nennt. Und doch arbeitet er an der Beherrschung heute noch. "Mein Leben verlief sehr erfolgreich", sagt er. "Und wer Erfolg hat, der muss sich auch disziplinieren." Damit meint er seine Tendenz, seine Erfolgsrezepte auf andere zu übertragen. "Ich muss erkennen, dass meine Meinung eben auch nur eine Meinung ist."

Dafür war das Schreiben gut: die eigene Person zu überdenken. "Ich weiß, dass ich dazu neige, die Vergangenheit zu glorifizieren." Dabei gibt es Punkte, bei denen sich Leibinger heute nicht mehr sicher ist, ob sie richtig waren. "Beispielsweise, dass ich das Amt als Präsident des BDI nicht angenommen habe." Damals dachte er, er müsse seine ganze Kraft ins Unternehmen stecken.

"Ich habe viel um die Ohren"

In den Vordergrund seines Lebensberichts stellt er nicht die eigene Person. Sondern die Geschichte eines Unternehmers in einer ganz bestimmten Zeit. Sie beginnt mit den Nachkriegsjahren. "Es war nicht leicht, einen Hitler vergessen zu machen." Und er beschreibt, wie sich die Welt öffnete. Kulturell und wirtschaftlich. "Ich konnte viel reisen, allein 70-mal war ich in Japan." Das Buch zeigt, wie aus einem Trümmerhaufen ein Unternehmen wurde, das zu den weltweit führenden für Fertigungstechnik zählt. Bei seiner letzten Bilanzpressekonferenz gab Leibinger 2005 einen um 14 Prozent auf 1,4 Mrd. Euro gestiegenen Rekordumsatz bekannt.

Leibinger will, dass die Deutschen aufhören, wehleidig zu klagen. Als "gnadenlosen Optimist" bezeichnet ihn seine Frau. Und das ist heute wichtig. Von zwölf wirtschaftlichen Abschwüngen beschreibt er die jüngste Krise als den schlimmsten Einschnitt. Das Unternehmen rechnet nicht damit, bald wieder das Umsatzniveau von vor der Krise zu erreichen. Es rechnet mit einem Verlust in zweistelliger Millionenhöhe. Bereits im Geschäftsjahr 2008/2009 ist der Umsatz um 23 Prozent auf 1,66 Milliarden Euro gesunken.

"Ich habe viel um die Ohren"

"Wir müssen noch immer Lohneinbußen hinnehmen", sagt ein Mitarbeiter. Die Einbußen liegen bei knapp neun Prozent. "Und dennoch ist uns klar, dass wir auf hohem Niveau klagen, wenn wir es tun", sagt er. Die Stimmung sei besonders bei Trumpf. "Es ist eben keine Aktiengesellschaft." Die Familie sei häufig zu sehen. "Berthold Leibinger hat mir schon als Azubi die Hand geschüttelt und gefragt, wie es mir geht." Die Mitarbeiter sagen, dass sie sich wertgeschätzt fühlen. Es scheint, als sei es der Familie gelungen, ihr eigenes "Denk- und Wertegerüst" auf die Mitarbeiter zu übertragen. "Viele von uns engagieren sich neben der Arbeit für gemeinnützige Dinge", sagt ein Mitarbeiter.

So wie Leibinger selbst. Er ist Vorstandsvorsitzender der Internationalen Bachakademie und Vorsitzender des Freundeskreises des Deutschen Literaturarchivs. "Ich habe viel um die Ohren", sagt er. Die 79 Jahre merkt man ihm nicht an. Und falls es doch einmal zu Alterserscheinungen kommen sollte, hilft Berthold Leibinger die Literatur. Thomas Mann etwa und sein Zitat: "Ich verzichte darauf, mich ihres Namens zu entsinnen."