Zum Vorwurf der Steuerhinterziehung sagt Jürgen Rudloff vor Gericht nichts Konkretes. Aber er gibt Einblicke, welche Rolle der Fußball und Kontakte in seinem Leben spielen.
Die magische Zahl, die im Raum steht, ist ein Betrag von 618 000 Euro – zu zahlen „am besten vorgestern“, wie der Vorsitzende Richter Günter Necker nicht müde wird zu betonen. Zweieinhalb Monate Verhandlungspause liegen hinter Jürgen Rudloff. Der 72-jährige Ex-Paradise-Betreiber, stadtbekannt, mal auf dem Weindorf, mal auf Hundespaziergang in der Innenstadt unterwegs, hatte den Sommer über viel Zeit zu überlegen, welche Richtung er dem Prozess geben will, bei dem er wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 1,3 Millionen Euro angeklagt ist.
Und so beginnt die Hauptverhandlung vor der sechsten Wirtschaftsstrafkammer auch mit der Frage Neckers, wie sich der ehemalige Rotlichtunternehmer entschieden habe: Geständnis, Geldzahlung – und damit Einstellung des Verfahrens – oder weitere Beweisaufnahme bis zu einem Urteil. Rudloffs Anwalt nimmt vorweg, was Rudloff wenig später selbst vorlesen wird. Man sei an einer anderen Verfahrenserledigung interessiert, „aber das ist hinsichtlich der Finanzlast schwierig“.
Jürgen Rudloff vor Gericht
Die Vorwürfe und die Steuerschulden gehen laut Anklage auf die Zeit von 2013 bis 2017 zurück. Sie stammen aus Anteilsverkäufen und anderen Buchungen in Zusammenhang mit seinen Bordellbetrieben, über deren Umfang Staatsanwaltschaft und Rudloff unterschiedlicher Auffassung sind. Der Reihe nach hört die Kammer Investoren und Partner, geht mit ihnen private Darlehensverträge und Kontoauszüge durch. Oder stellt den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen in Frage. Fragt, wie man von 508 Euro im Monat leben könne – und bekommt keine wirkliche Antwort. Der Steuerfahnder hat eine einfache Antwort auf dieses Wirrwarr an Buchungen: Steuerhinterziehung.
Er könne keine Aussagen zu Buchungen machen, die er nicht veranlasst habe und keine Steuern auf Einnahmen zahlen, die er nicht erhalten habe, sagt Rudloff. In mehreren Zivilklagen ziehe er gegen ehemalige Partner vor Gericht. Er habe gehofft, das ginge alles schneller. Inzwischen wohnt er in seiner 2021 zwangsversteigerten Villa im Stuttgarter Westen. Der Rückkauf von der Firma, die solche Aufkäufe als Geschäftsmodell entdeckt hat, ist geplatzt. Aber Rudloff hat seinem Sohn ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt, der ihm die Immobilie wiederum im Rahmen eines sogenannten Leihvertrag überlässt.
Einmaliges Angebot für Jürgen Rudloff
250 000 Euro könne er verfügbar machen, so Rudloffs Ansage an das Gericht. „Ein Mehrbetrag ist mir mit besten Willen nicht möglich.“ Er habe das Geld nicht unter dem Kopfkissen. Ohne die Unterstützung durch Freunde könne er von seiner Rente nicht leben. 500 Euro im Monat seien das. Zu Beginn des Prozesses hatte er von 1000 Euro jährlich gesprochen. Er wolle nicht mehr ins Gefängnis. Das Verfahren belaste ihn. Er habe gesundheitliche Probleme. Vielleicht könne man noch einmal ausloten, ob eine Reduzierung der Summe möglich wäre.
Necker wird noch einmal höflich deutlich und hält Rudloff entgegen, es gebe Anhaltspunkte, „dass Sie über Vermögenswerte verfügen. Ob Sie uns entgegenkommen, ist Ihre Entscheidung. So einen Vorschlag habe ich noch nie gemacht. Wir lassen uns nicht runterhandeln“. Auf sein Nachfragen erfährt der Angeklagte vom Kammervorsitzenden, dass mit dieser Zahlung auch seine Steuerschuld vom Tisch sein würde. Abgesehen von etwa 100 000 Euro Umsatzsteuer. Rudloff horcht sichtbar auf.
Modefan Rudloff
Der Prozess ist an dem Tag angekommen, an dem man viel über das Leben des schillernden Stuttgarters erfährt – sein Selbstbild, den Fußball- und Familienmenschen, seinen Drang, gesehen zu werden. Nach einem Mammutprozess war er 2019 wegen Beihilfe zu Menschenhandel und wegen Betrugs zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Seit Frühjahr 2021 ist er wieder auf freiem Fuß. Die Wirtschaftsstrafkammer fragt unaufgeregt nach, wie sein beruflicher Werdegang, sein Einstieg ins Rotlichtgeschäft vonstatten ging – und fördert dabei viel über den Menschen Rudloff zu Tage.
Der berichtet, wie er nach dem Suizid seiner vom Vater getrennt lebenden Mutter mit 15 Jahren – die drei älteren Geschwister sind schon aus dem Haus – zu einer Pflegefamilie kommt. Nach einer Werkzeugmacherlehre bei der Zuffenhausener Firma Heinkel zieht es ihn in die Modebranche. „Schon immer habe ich Wert auf ein ordentliches Erscheinungsbild gelegt“, erklärt der Mann, der gerne weiße Hemden zum Sakko trägt. Manche zögen daraus Schlüsse über seine finanziellen Verhältnisse.
Jürgen Rudloff: Rotlicht auf der Alb
Seine zweite Leidenschaft und zugleich Zuverdienstmöglichkeit und Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg ist der Fußball. Rudloff spielt beim SV Zuffenhausen, 3. Liga, erste Mannschaft. Zwischen 1000 und 1500 Mark im Monat habe er dafür bekommen, dazu kamen Punkte- und Siegesprämien, erinnert er sich. Er ist Spielertrainer und erlangt einen gewissen Bekanntheitsgrad. Und findet offenbar bei den Fußballern ein Zuhause, „das mich betreute, als ich Vollwaise wurde“. Noch heute kicke er mit den Alten Herren, allerdings in Stuttgart-Rot.
1979 kommt er dann zum ersten Mal in Kontakt mit dem Rotlichtgeschäft. Berührungsängste hat er offenbar nicht. Ein Schwager kauft ein Etablissement in Weilheim/Teck. Rudloff sieht sich den Laden an. Mit seinen 300 Quadratmetern sei er klein gewesen. Ganz anders als seine späteren Saunaclubs wie etwa das Paradise in Leinfelden-Echterdingen. „Das kann man nicht vergleichen. Die Damen waren bekleidet. Nicht wie später bei mir, wo sie nur Dessous trugen.“ Und wohl nicht nur das war anders. „In Weilheim, da machst du alles andere als einen Bordellbetrieb“, erklärt er die Gepflogenheiten der Branche. Da sei doch nichts los. „Da sind die Männer noch mit hochrotem Kopf rein und später wieder raus“, beschreibt er im Rückblick das gesellschaftliche Klima. Gefragt ist in Weilheim seine Bekanntheit als Fußballer. Er soll Kundschaft bringen und lässt sich darauf ein. Mit Kumpels und Freunden fährt er regelmäßig auf die Alb – und bekommt dafür auch noch Geld. „Kontakte waren und sind mein Kapital“, sagt er. Der Mann aus einfachen Verhältnissen ist nun jemand.
Fußball auch in Haft
Da ist er schon endgültig in die Modebranche gewechselt, trifft einen späteren Geschäftspartner. Ebenfalls Fußballer und bekannter Fotograf. Für ihn sei er ein richtig guter Freund geworden – und Komplize bei den Raubüberfällen.
Denn die Liebe zu den Zuffenhausener Fußballern findet ein jähes Ende, als er 1981 zu einer längeren Haftstrafe verurteilt wird. Doch er bekommt die Erlaubnis, in einem Verein bei Heilbronn zu spielen – aus der Haft heraus. Die Zeit dort bremst jedoch erst mal seinen Aufstieg. Als er im Wendejahr 1989 mit 34 Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen wird, geht er zunächst zurück in die Modebranche, engagiert sich in Sindelfingen im Großhandel.
Dann führt ihn sein Schwager in Dresden in die Immobilienbranche ein. Es ist Wendezeit, „wo jeder Metzger eine Immobilienfirma aufgemacht hat“. Auch Rudloff gehört zu den Glücksrittern aus dem Westen. Sein Schwager ist Walter Hoff, Vizepräsident bei Dynamo Dresden. Wieder ist da der Fußball. Rudloff, so berichtet er, wurde Spielerscout bei dem Verein. Zurück in Stuttgart nutzt er sein Wissen über Immobilien und gründet 1994 selbst ein Firma, mit der er Immobilien entwickelt und verkauft.
Laufhaus in Ludwigsburg
Und nur ein paar Jahre später führt er sein Wissen aus dem Rotlicht mit dem aus der Immobilienbranche zusammen. Er engagiert sich in einer der gewerblichen Zimmervermietungen in Ludwigsburg, dem ersten großen Laufhaus, wie er sagt.
Noch heute gebe es das. Dort sei er Partner und Freund, nie Geschäftsführer gewesen. „Meine Tätigkeit war die, dass ich dabei war mit meinem Namen“. Er steigt in Ludwigsburg aus und baut in Frankfurt den FKK-Club Palace auf, den Grundstock seines Engagements im Großbordellbereich. Es folgen 2008 in Leinfelden-Echterdingen („in Folge der Liberalisierung des Prostitutionsgesetzes“) das Paradise und dann ein weiterer FKK-Club in Saarbrücken.
Familien als Rückhalt
Wieder zieht sein Name bei potenziellen Investoren. Seine Bekanntheit, sein Netz an Beziehungen und seine publikumswirksamen Auftritte in den Medien helfen ihm, sein Geschäftsmodell von der sauberen Prostitution zu propagieren. Es endet am 30. November 2014 mit einer Großrazzia in all seinen Häusern bei allen seiner Investoren. Rudloff selbst entzieht sich der Verhaftung, geht in die Schweiz. 2017, nach seiner Rückkehr nach Deutschland, wird auch er verhaftet. Von der Mutter seiner Kinder lebt er getrennt. Die Dramatik seiner finanziellen Situation sei ihm erst nach seiner Haftentlassung bewusst geworden.
Rudloff sagt, er habe sich aus dem Rotlichtmilieu zurückgezogen, weil seine Partner sich nicht um seine Familie gekümmert hätten, als er es nicht konnte. „Der Ehrenkodex scheint nicht mehr zu gelten.“ Für den Beziehungspfleger Rudloff eine bittere Erfahrung. „Ich bin mit diesen Leuten durch“. Seine Familie jedoch sei sensationell. Sie stehe zu ihm trotz seiner Vorstrafen. Von seiner Steuerschuld, so die Haltung im Gerichtssaal, entbindet ihn das nicht. 618 000 Euro stehen zwischen dem Jetzt und einem wie auch immer gearteten Neuanfang.
Neue Geschäfte
Denn einer wie Rudloff, der löscht nicht plötzlich das Telefonverzeichnis mit seinen Kontakten, nur weil er gesundheitliche Probleme hat. Es sei nicht so, dass er Däumchen drehe. Er sei dabei, sich wieder etwas aufzubauen. Durch seine Kontakte, als Tippgeber bei Immobiliengeschäften.
Die Kontakte und seine Leidenschaft fürs Boxgeschäft, seine freundschaftlichen Beziehungen zu Veranstaltern bescherten ihm Einladungen. Jüngst zu einem Boxevent in die Türkei.
Zu seinen finanziellen Verhältnissen will er noch immer nichts sagen. Deutlich hingegen wird er, wenn er bekennt: „Ich genieße es, im Rampenlicht zu stehen nach meinem beruflichen Scheitern.“ Er meint die Boxevents – und nicht den Prozess.