Fast 20 Jahre lang war Andreas Beck Fußballprofi. Nach dem Ende seiner Karriere hat er eine neue Herausforderung gefunden: die Lust am Leiden. Was es damit auf sich hat? Wir haben mit dem 36-Jährigen darüber gesprochen.
Es war ja klar im vergangenen Oktober, dass er in der nächsten Nacht nicht würde schlafen können. Denn das, was Andreas Beck da im Herbst 2022 vorhatte, schafft man eben nicht zwischen Aufstehen am Morgen und zu Bett gehen am Abend. Er wusste also, was kommen würde. Was er nicht wusste: Dass er auch in der Nacht zuvor kaum ein Auge würde zutun können. Aber: „Ich war so aufgeregt, dass ich kaum schlafen konnte.“
Andreas Beck also war lange wach. Und er war lange auf den Beinen. Und er sagt mit Blick auf die Strapazen in Kroatien: „Am Ende hatte ich extrem zu kämpfen.“ Was kein Wunder ist. Denn das Ende – besser, das Ziel – kam erst nach 122 Kilometern.
Was zu erwähnen ist an dieser Stelle: Es geht hier nicht um eine Fahrradtour, einen Ausflug mit dem Cabrio oder eine Ausfahrt mit dem Motorrad. Andreas Beck ist die Strecke gelaufen. Weil er musste? Weil er wollte! Weil der 36-Jährige nun nicht mehr Profifußballer ist. Und weil er Neues erleben will. Nun kennt er neue Grenzen des körperlich Machbaren.
„Andere Sportarten“, sagt der Mann mit den strohblonden Haaren, „haben mich schon immer gereizt.“ Andererseits aber liebte er sein Leben als Fußballer. Taktik, Fitness, Sprints, Abliefern am Wochenende oder mittwochabends – da bleibt kein Raum, anderes auszuprobieren, womöglich sich sogar körperlich ganz anders zu belasten.
Über 16 Jahre war Andreas Beck Fußballprofi. Zu einem solchen reifte er einst in der Nachwuchsabteilung des VfB, in Stuttgart absolvierte er seine ersten Bundesligaspiele. Er ging zur TSG Hoffenheim, zu Besiktas Istanbul, kehrte nach Stuttgart zurück und beendete seine Karriere nach dem Engagement bei KAS Eupen in Belgien. Und erinnerte sich dann an ein Vorhaben mit familiärem Hintergrund.
Ein Erlebnis, das Andreas Beck die Augen öffnet
„Mein Vater“, sagt Andreas Beck, „nimmt seit vielen Jahren an Ultratrails teil.“ An Laufevents also, bei denen sich die Teilnehmer nicht mit der Marathondistanz zufrieden geben. Bei denen nicht auf flachen Asphaltstrecken gelaufen wird. Bei denen Menschen ihre Grenzen austesten. Seinem Vater Oskar also hatte Andreas Beck „schon lange versprochen, dass ich ihn mal begleite“. Im Sommer 2022 war es so weit.
Andi Beck war es gewohnt, viel zu laufen, Schmerzgrenzen zu überwinden, am Ende noch einmal alles aus sich herauszuholen. Aber: 90, maximal 120 Minuten dauert ein Fußballspiel. Zwölf, dreizehn Kilometer spulen dabei die Fleißigsten herunter. Der Rechtsverteidiger gehörte meist zu dieser Kategorie und dachte sich vor seinem ersten Ultralauf: „Ich komme mal mit.“ Und: „Wird schon nicht so schwer sein.“ Nach dem Rennen sagte er: „Dieses Erlebnis hat mir die Augen geöffnet.“
68 Kilometer, 2800 Höhenmeter bergauf, fast elf Stunden lang unterwegs – „ich habe das geschafft“, erinnert sich Andi Beck, „aber ich war dermaßen kaputt, zwei Wochen lang völlig durch, komplett zerstört.“ Was er aber auch war: an der Ehre gepackt.
„Ich war zwar mental, aber nicht körperlich auf diesen Lauf vorbereitet“, gibt er heute zu. Nach zwei Stunden und rund 15 Kilometern – der ungefähren Belastungszeit eines Fußballers – hatte es ihm erstmals den Stecker gezogen. Danach quälte er sich durch. Ging die Sache fortan aber strukturierter an.
Von sieben Wochentagen trainiert Beck seitdem an sechs, der übrige ist für Körperpflege und Regeneration reserviert. Er läuft, er macht Stabilisationstraining, auch Crossfiteinheiten. „Die Größe der Herausforderung gibt mir innere Erfüllung“, sagt er und fühlt sich „wohl“ bei der täglichen Schinderei. Denn: Es gibt kein Muss mehr. Keinen Termindruck. Kein Spiel am Samstag, bei dem es gilt, auf den Punkt da zu sein. Die zweite Sportkarriere des Andreas Beck verläuft im Einklang mit dem Privaten, mit der Familie, mit der er in Belgien lebt, mit anderen Erfahrungen, die er rund um das Fußballbusiness nun sammeln will.
Seinen zweiten Ultralauf absolvierte er in der Region Salzburg. „Nur“ 45 Kilometer, wieder mit dem Vater, siebeneinhalb Stunden lang war er unterwegs. Dann folgte im Herbst die größte der bisherigen Laufherausforderungen. Der Dalmacija Ultratrail in Kroatien, der Heimat seiner Frau.
122 Kilometer sollen noch nicht alles sein
Es ging über die bereits erwähnten 122 Kilometer, 5160 Höhenmeter galt es zu bewältigen, der Sieger benötigte nur etwas mehr als 14 Stunden. Andreas Beck war 27 Stunden und sieben Minuten unterwegs. Danach erledigt, kaputt, hinüber. Er weiß jetzt: „Ich bin in etwas eingetaucht, das brutal schwierig ist. Man zerlegt seinen Körper dabei komplett.“ Aber er war auch glücklich, erfüllt – und um die Erkenntnis reicher: „Auch das kann funktionieren. Es geht, auch nach Krämpfen, auch ohne Schlaf.“
Viel gelernt hat er, sagt der Ex-Nationalspieler, der schon immer breiter interessiert war als viele seiner Kollegen. Das Wissen, dass er in Laufschuhen neu ansammelte, hat mit Leistungsfähigkeit zu tun, mit Ernährung, mit Taktik und Technik. Vor allem aber mit ihm selbst. Und Andreas Beck will weiter lernen.
Was er plant, ist keine zweite Karriere als Profisportler. Das Laufen bleibt ein Hobby, vorerst aber eines, dem er viel Platz einräumt in seinem neuen Leben. Im Mai steht für ihn der erste Ultratrail des Jahres 2023 an. Bis Oktober oder November will er dann jeden Monat einen weiteren absolvieren. Die 122 Kilometer in Kroatien sollen wieder dabei sein, die 24-Stunden-Marke ist diesmal das Ziel. Der Traum ist: „Irgendwann einmal 100 Meilen laufen.“
Das wären rund 170 Kilometer. Das wäre noch mal Neuland. Aber doch nicht mehr gänzlich unbekanntes Terrain. Weshalb Andreas Beck diese Herausforderung wohl recht ausgeschlafen angehen könnte.