Nico Rosberg hat die besten Chancen, Weltmeister in der Formel 1 zu werden. Foto: dpa

Der ehemalige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug spricht vor dem vielleicht entscheidenden Rennen um die Formel-1-Krone über die Rivalität zwischen Rosberg und Lewis Hamilton und über die Dominanz von Mercedes.

Stuttgart -

Herr Haug, auf wen würden Sie setzen, wenn es heißt: Wer wird Formel-1-Champion 2016?
Ich habe auch in diesem Jahr das Gefühl, dass wieder der mit den meisten Punkten den WM-Titel holt. Er könnte in diesem Jahr aber durchaus einen anderen Namen tragen als in den vergangenen beiden Jahren.
Glauben Sie, dass schon am Sonntag in Brasilien der neue Weltmeister feststeht, der dann ja nur Nico Rosberg heißen kann?
Das ist durchaus möglich – und auch nicht sonderlich unwahrscheinlich.
Rosberg genügen in den beiden abschließenden Rennen ein zweiter und ein dritter Platz. Ist das ein Vorteil, weil er taktieren kann? Oder ein Nachteil, weil er womöglich nicht mit absoluter Konzentration in die Rennen geht?
Das ist ein Vorteil. In der Formel 1 ist es nicht anders als bei einem guten schwäbischen Konto: Was man hat, das hat man. Und so sind 19 Punkte mehr besser als 19 Punkte weniger. Siegen können ist obendrein ebenfalls angenehmer als siegen müssen. Aber dass Lewis Hamilton ein Renntier ist, das mit unbändigem Siegeswillen über sich hinauswachsen kann, weiß keiner besser als der, der seit vier Jahren vier Meter neben ihm in der Garage steht und auf der Rennstrecke oft genug vier Zentimeter vor oder hinter ihm fährt oder sich fürs Rennen vier Tausendstel vor oder hinter ihm qualifiziert.
Wie sollte Nico Rosberg den Grand Prix in Brasilien angehen?
Volles Rohr – als wär’s das erste Rennen einer neuen Saison. Man kann keine Kugel langsam aus dem Lauf kommen lassen und man kann kein Formel-1-Rennen langsam angehen. Wer zu viel Vorsicht walten lässt, hat das Nachsehen.
Liegt Nico Rosberg die Rolle des Gejagten besser als die des Jägers?
Mehr Punkte auf dem Konto bringen Nico zweifellos in die bessere Ausgangssituation. Aber ein Crash oder ein Ausfall und ein Sieg von Hamilton können 19 Punkte Vorsprung in einem Rennen in sechs Punkte Rückstand verwandeln. Nico ist allemal gut genug, um als Gejagter cool zu bleiben.
Wie steht es um seine Nervenstärke?
Ich halte Nico für stark genug, das Rennen, bei dem er Matchball hat, anzugehen wie jedes andere. Neun Siege bei bisher 18 Rennen waren keine Geschenke seines Teamrivalen, auch wenn Lewis in Malaysia einen Sieg durch einen Motorschaden verlor. Nico wurde damals Dritter, nachdem er in der ersten Runde rumgedreht worden war.
Wenn es Spitz auf Knopf kommt, so war es in den zwei vergangenen Jahren, war Hamilton stets den entscheidenden Tick besser.
Das kann man nicht für alle Rennen behaupten. Wer Lewis schlagen kann, sollte jeden schlagen können, das kann man, glaube ich, sagen. Nico hat das öfter aus eigener Kraft geschafft und beispielsweise aus seinen besten Startplätzen öfter Siege gemacht als Lewis. Selbst wenn Lewis am Sonntag in Brasilien gewinnen sollte, reicht Nico Platz zwei,  um beim Finale mit einem dritten Platz Weltmeister zu werden. Aber: Wir  haben mit Lewis schon den WM-Titel verloren, als er 17 Punkte Vorsprung hatte und noch 20 zu vergeben waren. Also kann das auch passieren, wenn man 19 Punkte vorn liegt und 50 zu vergeben sind.