Der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann spricht im Interview über seine geplante Rückkehr, über die Krise des VfB Stuttgart und das Verhalten von VfB-Sportdirektor Michael Reschke.
Stuttgart - Die Spielplantüftler der Bundesliga haben es gut gemeint mit Jürgen Klinsmann (54). Erst um 18.30 Uhr wird am Samstag das Duell zwischen der TSG Hoffenheim und dem VfB Stuttgart angepfiffen – spät genug also, damit sich der frühere Bundestrainer in seiner Wahlheimat Kalifornien nicht den Wecker stellen muss. Morgens um halb zehn wird sich Klinsmann vor den Fernseher setzen und genau zuschauen, denn zu beiden Clubs hat er eine ganz besondere Beziehung. Gegenüber dieser Zeitung bezieht der 54-Jährige unter anderem Stellung zur aktuellen Situation des VfB und der Lügen-Debatte um den Stuttgarter Sportdirektor Michael Reschke.
Klinsmann über die Entwicklung des VfB
„Auf vereinspolitischer Ebene wurden mit der Ausgliederung die richtigen Weichen in Richtung Kontinuität und Fortschritt gestellt. Man muss Präsident Wolfgang Dietrich in diesem Zusammenhang ein Riesenkompliment machen. Der Verein kann jetzt weiter aufbauen und hat die Voraussetzungen, seinem Ziel näherkommen, möglichst schnell wieder auf der internationalen Bühne zu spielen. Sportlich ist jetzt aber ein Fehlstart passiert. Die Mannschaft erscheint mir eigentlich gut genug, um unter den ersten Acht zu spielen. Aber jetzt müssen dringend Punkte her. Denn wenn man länger unten drinhängt, wird es Überlebenskampf pur. Dann muss man nicht mehr darüber nachdenken, welche Art von Fußball man spielt – dann geht es nur noch um die Punkte. Der VfB hat keine Zeit mehr zu verlieren.“
Klinsmann über die Kritik an VfB-Sportvorstand Michael Reschke
„Ich verstehe die Leute, die nach der Trennung von Tayfun Korkut seine Statements diskutieren, die sich als falsch entpuppt haben. Wenn man genau das Gegenteil dessen macht, was man noch am Tag vorher gesagt hat, muss man sich dieser Kritik stellen. Oder sich dafür entschuldigen, dass man es aus der ersten Emotion heraus anders formulieren musste. Zumal es unmittelbar nach Spielen oft schwierig ist, sich klar zu positionieren - das weiß ich selbst.“
Lesen Sie hier: Die Reizfigur Reschke im Porträt
Klinsmann über die Diskussionen über die zweite VfB-Mannschaft
„Ich halte es für eminent wichtig, dass die U 21 bestehen bleibt. Es tut mir weh, wenn ich sehe, dass immer mehr Bundesligisten ihre zweite Mannschaft abschaffen wollen. Das ist aus meiner Sicht ein großer Fehler. Es gibt zwar Talente, die sofort durchstarten – aber nicht jeder Spieler ist schon mit 18, 19 bereit für die Bundesliga. Da ist Geduld gefragt. Es braucht daher diese Brücke von der Jugend zu den Profis. Beim VfB ist sie besonders wichtig. Es gehört zur Identität des Vereins, der Ausbildung den Vorrang zu geben, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Wir alle wünschen uns wieder junge Wilde beim VfB, die aus der eigenen Jugend kommen und dann durch erfahrene Spieler von außen ergänzt werden, die diese Philosophie mittragen.“
Klinsmann über die Strategie der TSG Hoffenheim
„Die Verantwortlichen dieses Vereins kann man nur loben. Wie sie langfristig und zielgerichtet alles aufgebaut haben, wie sie den Nachwuchs fördern, den sozialen Bereich und die ganze Region miteinbeziehen – das ist fantastisch. Das ist ein Vorzeigemodell. Dass die TSG jetzt auch noch in der Champions League spielt, ist phänomenal. Jetzt müssen sie lernen, zweigleisig zu spielen – auf europäischer Ebene und in der Bundesliga. Das ist der nächste Entwicklungsschritt, und ich bin sicher, dass auch der gemeistert wird. Doch auch wenn ich die TSG sehr gern lobe und auch gerne dort zu Gast bin – mein Herz schlägt immer noch für den VfB.“
Bei der Wahl zu Jubiläums-Elf des VfB bekam kein Stürmer mehr Stimmen – hier geht’s zum Ergebnis
Klinsmann über den Umgang mit Dietmar Hopp
„Es geht in erster Linie um Respekt, das ist im Umgang auch im Fußball das Allerwichtigste – unabhängig von Dietmar Hopp. Es ist aber nicht zu akzeptieren, was einige Chaoten immer wieder gegenüber Dietmar Hopp abziehen. Da müssen wir alle den Mund aufmachen. Wir reden hier über einen Menschen, der nur gibt, der sich sozial engagiert und auch im Sport eine Vorbildfunktion hat. Wenn so einer dauernd so wüst beleidigt wird, dann darf man das nicht länger hinnehmen. Diese Signale muss man gerade in dieser Zeit setzen, denn sie werden auch im Ausland genau registriert. Man muss mit diesen Leuten reden und auf allen Ebenen versuchen, dass solche Dinge nicht länger passieren. Und wenn das nichts bringt, dann darf man sie nicht mehr ins Stadion lassen.“
Klinsmann über seine eigenen Pläne
„Ich hatte vor der WM Angebote von Nationen, die in Russland dabei waren. Aber das war nicht das, was ich wollte, da keines dieser Teams die Perspektive Viertelfinale geboten hätte. Jetzt ist die Konstellation so, dass meine Tochter im nächsten Sommer an die Uni geht, ich also familiär nicht mehr so an Kalifornien gebunden bin. Und ich merke, dass es mich mit meiner Erfahrung aus fast 40 Jahren und meinem Netzwerk in den Profizirkus zurück zieht. Ich kann mir eine Arbeit als Trainer vorstellen, aber auch eine Tätigkeit als Sportchef, der in einem Verein oder einem Verband strategisch arbeitet und das größere Bild zeichnet. Ich bin für alles offen und kann mir auch eine Rückkehr nach Europa oder Deutschland vorstellen. Entscheidend ist, dass man im Verein menschlich zueinanderpasst, dass man gemeinsame Werte und Ziele hat und der sportliche Reiz und die Identität stimmt. Ich bin selbst gespannt, wohin die Reise geht.“
Lesen Sie hier: Beim Tag des Brustrings hat Klinsmann die VfB-Fans verzückt
Klinsmann über die Pressekonferenz der Bayern-Führung
„Ich habe das mitbekommen und mache mir natürlich meine eigenen Gedanken. Aber da bin ich etwas befangen, denn wenn ich jetzt etwas über die Bayern sagen würde – egal in welche Richtung - dann käme ein schönes Echo. Da halte ich mich lieber raus. Grundsätzlich ist es so, dass ich den höchsten Respekt vor den Bayern habe und noch immer dankbar bin, dass ich dort Trainer sein durfte. Es gab zwar viele Probleme, weil ich ganz andere Ideen als die Führung hatte und ich auch einiges schlucken musste – aber diese Lebenserfahrung kann mir keiner mehr nehmen.“