Willem van Agtmael in seinem Büro mit Rundum-Blick über die Stadt und sein Kind, das Dorotheen Quartier Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Willem von Agtmael (70), Miteigentümer von Breuninger, hat einen neuen Höhepunkt in seinem Leben erreicht. Der holländische König hat ihn zum Ritter ernannt. Dabei ist Höhe für diesen Mann kein Selbstzweck, es geht ums Steigen, ums Wachsen.

Stuttgart - Wer ständig große Räder dreht, hält selten inne. Wozu auch? Das Leben ist im Fluss, alles läuft. Daher trifft einen 70-jährigen Erfolgsmenschen die Frage, wo er denn gerade in seinem Leben stehe, etwas unvorbereitet. Erst recht, wenn man den Namen Willem Gerardus van Agtmael trägt, einem 40 Prozent von Breuninger gehören und man just vom holländischen König zum Ritter des Ordens von Oranje-Nassau ernannt worden ist. Eine hohe Auszeichnung, die sein Lebenswerk krönt.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Van Agtmael verdrängt Fragen dieser Art im Gespräch nicht. Er hat Loslassen gelernt. Ob nach 40 Jahren bei Breuninger als Chef oder nach elf Jahren als Honorarkonsul der Niederlande. Aber einer, der stets nach vorne blickt, für den hat die Vergangenheit eine andere Bedeutung. Willem van Agtmael versteht sie als Basis für ein erfolgreiches Morgen, nicht als Ruhekissen.

Lust auf Entdeckungen

Typisch Holländisch an ihm ist die Lust auf Entdeckungen. Was gibt es bei einer Rückschau zu entdecken? „Wo ich bin?“, sagt er und lächelt in sich hinein: „Ich bin immer im Lernmodus.“ Ein Motto von ihm heißt: „Die Zukunft ist heute.“ Will sagen: „Wer sich früh mit der Zukunft beschäftigt, wird nicht überrascht.“

Auf Breuninger übertragen heißt das: Hätte Willem van Agtmael das Unternehmen mit seinen rund 5500 Mitarbeitern und etwa 800 Millionen Euro Jahresumsatz vor zwölf Jahren nicht auf die digitale Transformation im Handel eingeschworen, stünde es heute vermutlich nicht an der Spitze der Händler des hochwertigen Segments. Inzwischen macht Breuninger rund ein Drittel seines Umsatzes im E-Commerce, im Online-Handel. Tendenz steigend.

Noch ist die Basis die (Verkaufs-)Fläche. Ihr fühlt sich der Unternehmer bis heute verbunden. „Ich bin ein Kind der Fläche“, sagt er. Sei es damals in meinen Anfängen als Hoteldirektor des Sindelfinger Holiday Inn, wo er den Firmenpatron Heinz Breuninger von seinen Fähigkeiten überzeugte. Oder später im Einzelhandel. Diese Haftung zur Bodenfläche hat ihn dahin gebracht, wo er heute ist. Konkret: In den elften Stock eines Büros am Charlottenplatz, von dem aus er die Stadt einschließlich seines früheren Imperiums überblickt: das Traditionskaufhaus Breuninger und das Dorotheen Quartier, das er immer wieder „Da Vinci“ nennt, weil es sein Kind ist. Im Frühjahr 2007 hat van Agtmael seine Vision unter dem Namen Da Vinci („Er gefällt mir heute noch“) der Öffentlichkeit präsentiert, seit vergangenem Jahr ist das Quartier ein neues Stück Stuttgart.

Überall ist er Menschenbeweger

Höher geht es kaum. Nicht nur in diesem Hochhaus, auch nicht bei seinen Flügen als Hobby-Pilot von Hubschraubern, schon gar nicht im Leben. Ihm geht es ums Steigen. Ums Wachsen. Reichtum, Macht, Einfluss sind Nebeneffekte. Im Mittelpunkt stehen für ihn Menschen und Beziehungen. Früh hat van Agtmael erkannt, dass er ohne Menschen mit Einsatzbereitschaft und -freude nichts erreichen wird.

Als 25-jähriger Einsteiger und designierter Chef bei Breuninger läutete er mit dieser Haltung einen Paradigmenwechsel in der Führungskultur des Kaufhauses ein. Er machte das, was man heute neudeutsch Leadership nennt: Mitarbeiter auf einem Weg mitnehmen und sie für den Weg begeistern. „Ich glaube das kann ich“, sagt er ohne Hochmut, „eine positive Energie erzeugen und begeistern.“

Er macht es bis heute – in vielen Ehrenämtern. Sei es in der Bürgerstiftung, der DRF-Deutsche Rettungsflugwacht oder der Charlottenklinik. Überall ist er ein Menschenbeweger. „Ich glaube, ich kann Menschen coachen.“ Er sagt es so, als habe er es in dieser Klarheit und Dimension mit seinen 70 Jahren eben gerade neu gelernt.

Dahinter verbirgt sich mehr als Beweglichkeit. Es sei ein Teil der holländischen DNA. „Wir können gut zuhören und lernen“, sagt er und nennt das Beispiel der Firma Philips: „Der Konzern hat sich zuletzt völlig neu erfunden und so überlebt.“

Die Niederlande hätten mit dieser Eigenschaft immer wieder Erstaunliches geschafft. Zum Beispiel hinter den USA der zweitwichtigste Handelspartner von Deutschland zu werden. „Die Holländer sind innovativ, risikobereit und sind dabei unkompliziert sowie gesellig“, sagt van Agtmael und spricht dabei im Grunde über sich selbst – den neu ernannten „Ridder in de Orde van Oranje-Nassau“, Ritter seiner königlichen Majestät Willem-Alexander. Ein Mann der getreu dem Spruch handelt, der auf dem Orden steht: „Je maintiendrai“ („Ich werde bestehen“). Nur so konnte der Holländer über die Jahre das „Da-Vinci-Projekt“ verwirklichen. Anders wäre das Dorotheen Quartier vermutlich nie aus dem Planungsstadium heraus gekommen.

Er glaubt nicht an eine autofreie Stadt

In der aktuellen Diskussion um den Stadtverkehr schlägt van Agtmael leiser Töne an: „Ich glaube nicht an eine autofreie Stadt, aber an neue Konzepte, die die Transport und Mobilität besser organisieren.“ Er denkt beispielsweise an Seilbahnen und sagt: „Wir müssen auch hier immer weiter nach vorne denken.“ So wie es heute jeder Händler tun sollte, wenn er in der digitalen Transformation überleben will. Seine zwei Zauberworte lauten: „Curated Shopping“ (betreutes Einkaufen), wo der elektronische Handel mit der persönlichen Beratung des Fachhandels Hand in Hand gehen. Und: „Convenience“, ein Ausdruck für bequemen Service im Handel.

Am Ende des Gesprächs steht der Ritter seiner Majestät auf, schaut aus seinem Fenster hinüber zu Breuninger und zum Rathaus. An beide Adressen scheint er seine Botschaft zu senden: „Die Zukunft ist heute.“