Der designierte Vorsitzende der Atlantik-Brücke und frühere Bundesaußenminister, Sigmar Gabriel, kritisiert die USA Foto: dpa

Der designierte Vorsitzende der Atlantik-Brücke und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel ruft Europa angesichts „dramatischer“ globaler Machtverschiebungen auf, weltpolitisch mehr Verantwortung zu übernehmen – und erhebt schwere Vorwürfe gegen die USA.

Berlin - Der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel wirft den USA vor, mit ihrem Druck auf den Iran die Hardliner in Teheran zu stärken. Angesichts „dramatischer“ globaler Machtverschiebungen ruft er Europa auf, in die Rolle eines geopolitischen Akteurs hineinzuwachsen. Und der Bundesregierung wirft der frühere SPD-Chef „große Fehler“ in der Europapolitik vor.

Die aktuelle Iran-Krise ist die Folge davon, dass die USA vor einem Jahr das Atomabkommen mit Teheran aufgekündigt haben. Welche Strategie verfolgen die USA mit ihrer Iran-Politik?

Die USA wollen über maximalen Druck die iranische Regierung in die Knie zwingen, um entweder die Iraner zu Verhandlungen über ihre Rolle in der gesamten Region zu bewegen oder am besten den Wunsch in der Bevölkerung nach einem „Regime change“ zu erzeugen. Ich halte das für eine große Illusion, mit dieser Taktik stärken die USA sogar die Hardliner im Iran. Wir haben als Europäer vor dieser Entwicklung gewarnt. Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass offensichtlich auch die Iraner kein Interesse haben, das Abkommen jetzt schon jetzt vollständig infrage zu stellen. Denn bislang reagiert die Führung in Teheran auf den maximalen Druck der USA mit eher „minimalen“ Mitteln. Ob das so bleibt, weiß aber keiner.

Welche Rolle kommt in dieser angespannten Lage den Europäern zu?

Die Iraner kritisieren Europa und werfen uns vor, dass wir unser Versprechen nicht einlösen. Dieses Versprechen sah ja in der Tat vor, ihnen für den Verzicht auf den Bau der Atombombe bessere Wirtschaftsbeziehungen zu bieten. Diese Kritik ist berechtigt. Keine deutsche Bank finanziert derzeit irgendein Geschäft mit dem Iran. Denn die Amerikaner setzen ihre Sanktionen auch außerhalb der USA gegen jeden ein, der Geschäfte mit dem Iran macht. Aus europäischer Sicht ist das zwar rechtswidrig, aber das stört die amerikanische Regierung nicht. Die europäischen Bemühungen, trotzdem einen Handel mit dem Iran zu ermöglichen, wirken bislang alle nicht. Es muss uns also gelingen, unabhängige Finanzierungen für Geschäfte mit dem Iran zumindest in einem überschaubaren Volumen hinzubekommen. So könnten wir dem Iran beweisen, dass Europa weiter den gemeinsamen, verabredeten Weg gehen will.

Der US-Außenminister Mike Pompeo in dieser Woche inmitten der Krise seinen Besuch in Berlin abgesagt. Was sagt das über das Ansehen der Bundesregierung als diplomatischer Akteur bei der US-Regierung aus?

Die Absage darf man nicht überbewerten. Pompeo ist statt nach Berlin in den Irak geflogen, da das Land in besonderer Weise von iranischen Ölimporten abhängig ist. Zudem hängt die Sicherheitslage im Irak stark davon ab, was im Iran passiert. Ganz generell gilt aber, dass wir Europäer insgesamt, nicht nur wir Deutschen, in diesem Konflikt nicht wirklich ernst genommen werden. Wir sind keine geopolitische Macht und deswegen spielen wir eine untergeordnete Rolle. Das ist auch nicht verwunderlich, weil Europa nie gedacht war als weltpolitischer Akteur. Wir haben uns immer darauf verlassen, dass die Nachkriegsordnung weiter gilt: Europa kümmert sich um sich, aber ansonsten liegt die globale Außenpolitik ganz wesentlich in den Händen der Amerikaner. Die Welt hat sich aber dramatisch verändert und Europa muss lernen, ein geopolitischer Akteur zu werden.

Welche Rolle kommt Deutschland dabei zu?

Wir sind ein Land, ohne das Europa nicht funktioniert. Daher ist es bitter, dass Deutschland auf kluge Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron etwa zur Bildung eines europäischen Sicherheitsrats null Antworten gibt. Das ist ein großer Fehler der deutschen Politik. Nur wenn wir lernen, auch nach außen gemeinsam zu handeln, wird Europa in der Welt von morgen eine Rolle spielen. Sonst wird es eine G2-Welt mit China und den USA. Nach deren Spielregeln wir uns dann anzupassen haben. Gerade deshalb ist Europa heute so wichtig.

Das ist auch ein Vorwurf an ihre eigene Partei. Die SPD ist ja schließlich ein Teil der Bundesregierung.

Es ist kein Geheimnis, dass es in der SPD Menschen gibt, die sich ein größeres europapolitisches Engagement dieser Regierung gewünscht haben. Zumal das ja im Koalitionsvertrag eigentlich gut beschrieben ist. Es hapert aber an der Umsetzung.