Jörg-Hannes Hahn dirigiert den Philharmonia-Chor, die Gächinger Kantorei und den Bachchor Stuttgart Foto: Holger Schneider

Beim musikalischen Höhepunkt des Kirchentags fanden am Donnerstag Gächinger Kantorei, Philharmonia-, Hymnus- und Bachchor zusammen – in vier Werken zeitgenössischer Musik.

Stuttgart - So quirlig war es im Beethovensaal sicherlich schon lange nicht mehr. In T-Shirts und Sandalen ist das Kirchentags-Publikum gekommen, unter den Stühlen liegen Rucksäcke und Wasserflaschen. Begeisterung liegt in der Luft. Sie äußert sich schon, als das Konzert mit dem Auftritt der Gächinger Kantorei, des Ensembles Auditiv Vokal und des künstlerischen Leiters der Bachakademie, Hans-Christoph Rademann, beginnt, und sie steigert sich, als der Dirigent zum aktiven Mittun auffordert. Schwer ist es nicht, was der Komponist Jörg Herchet in seiner neuen Kantate „Die Geburt im Herzen“ der Konzertsaal-Gemeinde abfordert. Nur drei Töne sind zu singen, dann ein schöner F-Dur-Akkord, bei dem es helfe – so Rademann ernst, nach dem ersten Probedurchlauf – sich „sehr klare Töne vorzustellen“.

Die Besucher lachen. Und haben dann viel Freude daran, Herchets eher auf schlichten Wirkungen fußendem Werk ein bisschen Kirchentags-Impetus mitzugeben. Die Gächinger wispern leise, lassen Klänge gleiten, atmen laut, gehen auch mal mit Rasseln und Klangschalen durch die Reihen, und wenn das Licht, von dem im Text die Rede ist, am Ende in C-Dur glänzte, wüsste man, bei welcher Schöpfung man angekommen ist. So aber bleibt das Ganze eher gräulich.

Gebrauchsmusik einer jüngeren, ausgesprochen unterhaltenden Art ist beim Halleluja-Satz aus Moritz Eggerts Messe für Knabenchor zu hören. Dabei gewinnt das rhythmisch anspruchsvolle Stück auch durch die gute Balance und Textverständlichkeit des Hymnus-Chors unter seinem Leiter Rainer Johannes Homburg. Und ebenso wie die anschließend vorgetragenen bildreich-verspielten „El Roi“-Impressionen Günter Bergers schwingt in Eggerts Satz hörbar der Anspruch mit, seinen Interpreten Spaß zu machen. Das ist geglückt.

Martin Smolkas Kantate „Sacred Vessel“ gerät nicht nur wegen ihrer Länge zum Höhepunkt des Abends, sondern auch wegen ihrer Besetzung: Weil für das mit Raumklang-Wirkungen spielende Stück neben einem ziemlich bunt (unter anderem mit durchaus ironisch wirkenden E-Gitarren und Blockflöten) besetzten Orchester (Württembergische Philharmonie Reutlingen) drei Chöre benötigt werden, kommt es unter Jörg-Hannes Hahns Leitung zu einer in Stuttgart wohl noch nie da gewesenen Kooperation zwischen der Gächinger Kantorei, dem Philharmonia- und dem Bachchor.

Manchmal merkt man, dass 40 Minuten lang sind. Viel öfter jedoch nimmt Smolkas fein ausgearbeitete Wanderung von Klangflächen durch den Raum gefangen. Außerdem entzündet sich die ausgeprägte Klangfantasie des tschechischen Komponisten auf packende Weise an den Bildern der verwendeten alttestamentarischen Texte, und zwischen fließenden Klängen in minimalistischen Wiederholungsschleifen und einem rhythmischen, von farbigem Schlagwerk getriebenen Puls, der im „Nequaquam“-Satz an Carl Orff erinnert, findet Smolka einen sehr eigenen Ton. Mit wilden Experimenten hat diese Musik allerdings nichts zu tun. Sie will gesungen werden und gemocht. Erlaubt ist, was gefällt. Und gefallen hat „Sacred Vessel“ auch, weil es mit Liebe und Klarheit aufgeführt wurde. Nach dem verhallenden A-cappella-Schluss bedankte sich das Publikum mit langem Jubel.