Skeptischer Blick in eine hypersexualisierte Welt: Eva Illouz Foto: laif

Die Soziologin Eva Illouz befasst sich in ihrem Buch „Warum Liebe endet“ mit dem Scheitern von Beziehungen. Das Liebesleben ist komplizierter geworden, von der sexuellen Befreiung haben vor allem Männer profitiert – Frauen entdecken das eigene Geschlecht.

Jerusalem - Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Eva Illouz damit, welchen Einfluss der Kapitalismus auf das Liebesleben hat. Bei dem Besuch in ihrem Haus in Jerusalem duftet es nach frisch gebackenem Schokokuchen. Die Perspektiven, die sie eröffnet, sind jedoch eher unbehaglich.

Lassen Sie uns über das Ende der Liebe reden! Damit beschäftigt sich Ihr jüngstes Buch. Wussten Sie, dass sich manche Männer provoziert davon fühlen?

Wirklich?

Ja, und es waren Frauen, die unbedingt wollten, dass ich Sie interviewe.

Es ist ja auch vom Standpunkt der Frau aus geschrieben. Es geht darum, wie man mit Unsicherheit in Beziehungen umgeht, und das ist vor allem ein Problem, mit dem Frauen zu kämpfen haben.

Warum das?

Ein Ergebnis der sexuellen Revolution war, dass Männer Sex haben konnten, ohne weitere Verpflichtungen einzugehen. Damit ist der Anfang einer Beziehung viel komplizierter geworden. Sex steht nicht mehr am Ende des Kennenlernens, sondern am Anfang, und ständig grübelt man darüber nach, was es zu bedeuten hat, wenn er nach der ersten gemeinsamen Nacht nicht mehr anruft. Die Ungewissheit ist enorm gestiegen. Es gibt heute keine andere soziale Beziehung, die so viel Unsicherheit verbreitet wie die Liebe.

Aber auch Frauen können Sex ohne Verpflichtungen haben?

Ja, aber der Unterschied ist: Männer können dieses Spiel spielen, bis sie 80 sind. Frauen nicht. Die Zahl der Männer, die 50, 60 oder 70 sind und eine zweite Familie gründen und sogar noch einmal Kinder haben, ist groß. Sie kennen vermutlich viele.

Einige.

Mir geht es genauso. Der Altersunterschied zwischen Frauen und Männern wird immer größer, besonders auf dem Dating-Markt, das ist eine große Ungleichheit, über die kaum gesprochen wird. Schönheit, Fitness und Jugend sind für Männer superwichtig. Viele, die ich für mein Buch interviewt habe, würden nie auf die Idee kommen, eine Frau zu daten, die ein paar Pfunde zu viel hat. Sie haben sehr genaue Vorstellungen davon, was ihre Frau für Brüste, Beine, Po, Haare haben sollte. Das ist fetischistisch.

Was sind die Gründe dafür?

Die ständige Sexualisierung von Frauen in den Medien und die Pornoindustrie. Forscher nennen das Pornification. Das heißt: Frauen werden zunehmend über ihre physische und sexuelle Attraktivität definiert und machen bereitwillig mit, weil sie wirtschaftlich nicht so stark sind. Schöner ist es, wenn sich Menschen auf Augenhöhe kennenlernen und erfahren, was wahre Liebe ist.

Frauen, die keinen Partner finden, haben oft das Gefühl zu versagen. Wäre es womöglich einfacher, den Umstand zu akzeptieren und das Beste draus zu machen?

Ich denke, dass es eine Obsession von Frauen gibt, Männer zu finden. Und das hat auch damit zu tun, dass Partnerbeziehungen etwas sehr Absolutes haben: Hingebung, Sorge füreinander, sich gegenseitig zu brauchen. Es gibt heute immer weniger Gemeinschaften, zu denen man sich zugehörig fühlt. Wenn man krank oder arbeitslos wird, gibt es häufig niemand mehr, der sich um einen kümmert. Deshalb würde ich weder Männern noch Frauen empfehlen, sich einfach ein schönes Leben zu machen und zu denken, alles wird schon gut werden. Das ist Selbstbetrug. Menschen müssen fühlen, dass es einen Sinn gibt im Leben.

Und Freunde können einem diesen Sinn nicht geben?

Die Zahl der sinnvollen Beziehungen im Leben beschränkt sich natürlich nicht auf den Partner. Das wäre ermüdend. Viele Paare, die immer nur unter sich bleiben, merken das. Und klar, es kann auch Zeitverschwendung sein, immer nur nach dem richtigen Mann zu suchen und nicht zu sehen, was für Beziehungen man hat.

Ist Ihr Buch auch deswegen Ihren Geschwistern, Ihrer Mutter und Ihren Kindern gewidmet? Mit dem Zusatz, dass diese Liebe nicht enden wird?

Wissen Sie, Familie ist die einzige Art von Beziehung, die durch den Kapitalismus noch nicht transformiert wurde. Alles im Leben kann man sich aussuchen, aber nicht die Familie. Familie bedeutet, sich nicht zu verlassen, Konflikte auszutragen. Ganz altmodisch. Und ganz im Gegensatz auch zu vielen Paarbeziehungen.

Welche Auswirkung hat die Metoo-Bewegung auf die Liebe?

Dadurch wird alles noch komplizierter. Männer und Frauen haben noch größere Schwierigkeiten, sich zu vertrauen. Die Angst, sich dem anderen zu nähern, etwas falsch zu machen und später in den sozialen Medien aufzutauchen, ist größer geworden, vor allem unter jungen Männern.

Und das heißt?

Dass Beziehungen überhaupt nicht mehr angefangen werden. Japan ist in dieser Hinsicht führend. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist es so, dass junge Leute gar nicht erst versuchen, einen Partner fürs Leben zu finden, ein gesamtgesellschaftliches Problem mit gravierenden Folgen. Familien werden nicht völlig verschwinden, aber es wird viel mehr Menschen geben, die alleine leben.

Wird der Trend eines Tages wieder zur traditionellen Familie zurückgehen?

Vereinzelt könnte das so sein. Ein Grund, warum Frauen zu einem religiösen Leben zurückkehren, hat mit ihrem Gefühl zu tun, sich in dieser hypersexualisierten Welt nicht mehr wohl zu fühlen. Traditionelle Gemeinschaften, in denen Ehen arrangiert werden, können auch ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Sie sind Soziologin, kein Coach, aber haben Sie vielleicht eine Empfehlung für Paare, die Liebe nicht enden zu lassen?

Paaren kann ich keine Empfehlung geben.

Und Frauen?

Ich kann nur sagen: Bitte, denke nicht, mit euch stimmt etwas nicht! Wir leben in einer komplizierten Welt, die Bedingungen, sich kennenzulernen, sind schwierig und moderne Biografien oft chaotisch. Für eine Beziehung aber braucht man zwei stabile Leben, die zu einem zusammenschmelzen.

Wie gehen junge Leute mit dieser neuen Ungewissheit um?

Eine Tendenz, die ich beobachte, ist, dass junge Frauen mit anderen Frauen Beziehungen eingehen. Ich kenne die Statistiken nicht, aber ich wette, dass die Zahlen rapide gestiegen sind. Und vielleicht sollten ältere Frauen von jungen lernen und sich gar nicht erst auf einen Markt begeben, auf dem sie so geringe Chancen haben.

Kann eine Frau einen Mann in einer Beziehung einfach so ersetzen?

Warum nicht?

Weil es Heterosexualität gibt?

Viele von uns sind in dieser Beziehung wahrscheinlich flexibler als wir denken. Junge Leute wollen heute so sein und morgen so, multisexuelle Menschen. Ältere Frauen haben eher Schwierigkeiten damit, weil sie sich als heterosexuelle Individuen betrachten.

Ist das Ihr nächstes Thema: Frauen, die mit Frauen zusammen sind?

Nein. Ich arbeite an einem Buch über Authentizität. Was es heißt, echte Gefühle für falsche Objekte zu haben wie Roboter oder iPhones.