Lena Mayer-Landrut. Foto: dpa

Lena Meyer-Landrut (18) wird Deutschland am 29. Mai beim Eurovision Song Contest vertreten.

Stuttgart - Ja, es ging tatsächlich um Musik - und wir waren alle dabei. Das TV-Volk: eine harmonische Arbeitsgruppe. Anstrengend war"s, aber es hat Spaß gemacht. Lena Meyer-Landrut vertritt uns beim Eurovision Song Contest. Und was sagt sie dazu? "Das ist ganz schön fett."

Es ist noch nicht 20.30 Uhr, da kapiert der Fernsehzuschauer, dass die Gemütlichkeit seines Sessels trügt. Es gibt zu viele Hinweise: die Deutschland-Hymne in der Titelmelodie; der Bezug auf die "historische Zusammenarbeit" von ARD und Pro Sieben; und das, was Moderator Matthias Opdenhövel schlicht eine "Aufgabe von nationaler Bedeutung" nennt.

Ja, der finale Vorentscheid für den Eurovision Song Contest am 29. Mai in Oslo ist eine ambitionierte Mitmachrunde. "Unser Star für Oslo" zählt ganz auf uns.

Das ist die Überraschung, die am Freitagabend ausgerechnet in der ARD läuft: Während der Zuschauer bei "Deutschland sucht den Superstar" ("DSDS") mit dem Daumen weitgehend sinnfrei nach oben oder unten zeigen kann, ist er hier gefordert: Die Finalisten Lena Meyer-Landrut und Jennifer Braun interpretieren zweimal den gleichen Titel, extra für den Abend geschrieben. Dazu ein neues Lied ihrer Wahl.

Und schon ist der Zuschauer dran. Er soll sagen, welcher Titel welcher Frau am besten steht. Und dann erst, wer mit dem Lieblingstitel nach Oslo fliegt.

Nach den ersten beiden Liedern spricht alles für Lena. Sie singt, als sei sie in ihre Lieder verknallt: das federleichte "Bee", das kraftvollere "Satellite".

Sie schlüpft in ihre Lieder hinein, spielt sie, versteht und umgarnt sie. Damit hat sie auch in den sieben Sendungen vorher geglänzt. Mit Tippeltappelschritten, etwas versponnen, berührend, sehr eigen.

Die bessere Stimme hat Jennifer, eine Rockröhre mit dem Kratzen an der richtigen Stelle. Ebenfalls natürlich, talentiert, kraftvoll, geschult - aber auch konventioneller.

"Du bist die Königin der Töne", lobt sie Jurychef Stefan Raab. Und schwärmt bei Lena: "Man ist ein bisschen verzaubert und denkt, es blüht alles." Der gelernte Metzger zeigt, dass sein Herz manchmal so zart wie ein Filet ist.

Auch die Mitjuroren werden ganz weich. Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß ist baff vor so viel Talent. Und Soulkönig Xavier Naidoo blickt bereits weit nach vorne: "Ich merke, dass Ihr an diesem Tag in Oslo stark genug seid."

Kein Vergleich zu den Sprüchen und Zoten von "DSDS". Dort wäre längst der Zickenkrieg zwischen zwei 18-Jährigen ausgerufen worden. Dort würde man längst alles wissen über Hunde, Liebhaber und Körbchengröße. Bei Raab erfährt der Zuschauer am Ende nur, wie Lena sich den Lippenstift aus Cola- und Fantageschmack mischt.

Raabs Botschaft an Bohlen: Dieter, hier geht es tatsächlich um Musik.

Dann kommen die Lieblingstitel. "I Care for you" singt Jennifer und interpretiert zum ersten Mal tatsächlich so, als ob es ihre eigene Geschichte ist. "Love me" wählt Lena, ein schräges Stück, eine Up-Tempo-Nummer mit Bläserriffen, die Raab jubilieren lässt: "Da fliegen dem Ukrainer die Schneidbrenner um die Ohren", sagt Raab mit Bezug auf die osteuropäische Klientel im europäischen Finale.

"Der wirft sie wahrscheinlich freiwillig weg und sagt: Ich ergebe mich. Ich singe nicht mehr."

Der größte deutsche Arbeitskreis

Dann die erste Entscheidung des Fernsehvolks: Jennifer soll ihren Wunschtitel singen; Lena aber lieber mit "Satellite" als ihren Lieblingssong in die letzte Runde gehen.

Kapituliert die Ukraine immer noch? Selten war ein Vorentscheid so spannend. Denn Jennifer singt beim zweiten Versuch besser. Lena aber - von der Zuschauerwahl sichtlich enttäuscht - aber schlechter.

Hat die nationale Arbeitsgruppe versagt? Liegt sie bei der Titelauswahl daneben? Nein, sie findet nur, dass Lena mit dem schnelleren "Satellite" international mehr Chancen hat.

Schließlich zählten international Monsterbands und ein von einem Eisläufern umkurvter Geigenspieler zu den Gewinnern. Etwas Tempo, Show und Schmalz muss also sein.

Lena hält schon ganz gut mit, sogar auf eine dramatisch schmalzfreie Art und Weise. Nach ihrem Sieg hat sie Tränen in den Augen, braucht erst einmal ein Glas Wasser, um nicht umzukippen. "Das ist so verdammt krass, das ist so derbe, ich hätte nicht gedacht, dass mich das so mitnimmt."

Dann singt sie in ihrem sehr eigenen Sprechsingsang, Naidoo wippt mit den Füßen, Kloß strahlt und Raab schaut, als ob er selbst gerade gewonnen hätte.

Die Top 10 müssten im Finale zu schaffen sein, gibt Raab vorsichtig die Parole aus. "Ich glaube, Lena wird uns gut vertreten, sie steht uns gut zu Gesichte."

Ob - und in welcher Funktion - auch er in Oslo vor Ort ist? Bei der ARD kommentiert man das nicht.

Die Mission ist vorerst erfüllt: die Kandidatin gewählt, die Quoten mit im Schnitt 2,3 Millionen Zuschauern (Pro Sieben) und 3 Millionen (ARD) passabel.

Aber was heißt eigentlich passabel? Im Grunde ist das Ergebnis sensationell: Schließlich tagte gerade der größte deutsche Arbeitskreis.