Der deutschen Teilnehmerin Jamie-Lee Kriewitz werden kaum Chancen eingeräumt Foto: AP

Die Finalisten stehen fest, am Samstag soll nun der Gewinner des Eurovision Song Contests gekürt werden. Um die Spannung zu erhöhen, wurde das Abstimmungsverfahren verändert.

Stockholm - Vom Eise befreit sind nicht nur Strom und Bäche, sondern auch die Hovet-Arena. Eine nicht gerade kleine Hütte hat sich die European Broadcasting Union ausgesucht, um die aus vieler Herren Ländern angereisten Journalisten einzuquartieren. Neuntausend Besucher fasst die Halle, in der normalerweise die Stockholmer Eishockeyteams ihre Spiele austragen. Auf deren Parkett werden an diesem Samstag allerdings nicht die Schläger, sondern die Laptops und Mikrofone ausgepackt. „Nur“ zweitausend Journalisten sind in diesem Jahr akkreditiert worden, bewusst weniger als in den Jahren zuvor, obwohl es doch jede Menge Zuwachs zu vermelden gibt. Erstmals wird der Eurovision Song Contest auch in China und den USA im Fernsehen übertragen, Australien ist wieder mit dabei – aus dem paneuropäischen Sängerwettstreit ist längst eine globale Angelegenheit geworden. Die Zuschauerzahl beim Finale: vermutlich weltweit rund zweihundert Millionen Menschen, aber wer vermag das schon zu zählen?

Tausende kleine pikante Histörchen haben die Journalisten allerdings nicht zu rapportieren. Kein trauriger Fado ist ins Mikrofon zu weinen, weil Portugal zum zweiten Mal binnen vier Jahren gar nicht erst antritt. Keine Geschichte ist in Richtung Bukarest spielerisch aus dem Hütchen zu zaubern, weil Rumänien mangels Zahlungsmoral vorab disqualifiziert worden ist. Als einzige der zwei Misshelligkeiten mag der harsche Text der Ukrainer gelten („When Strangers are coming / they come to your House / they kill you all and say / we are not guilty“ – zu deutsch: Wenn Fremde kommen/ kommen sie zu eurem Haus / sie töten euch alle und sagen / wir tragen keine Schuld), die 2015 aus nachvollziehbaren Gründen pausiert haben, heuer mit der Sängerin Jamala an den Start gehen, von den Buchmachern aber – verstörende Ironie der Geschichte – hinter dem haushohen Favoriten Sergey Lazarev aus Russland auf dem zweiten Rang gesehen werden.

Das Abstimmungsverfahren ist neu

Die zweite kleine Misshelligkeit, wahrlich nur eine Petitesse, war bislang beim ersten Halbfinale im Green Room das Schwenken eines Wimpels mit den Farben der zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Region Berg-Karabach, was, so heißt es im offiziellen Bulletin, von den Veranstaltern „aufs Schärfste verurteilt“ wurde. Marginalien, wie gesagt. Denn ein politischer Wettstreit wird, zumindest nach derzeitigem Stand der Dinge, auch in diesem Jahr aus dem Song Contest nicht werden. Stattdessen beeindruckt wieder einmal die extrem professionelle Abwicklung. Nichts wird bei den unzähligen Ablaufproben, die vor zehn Tagen begonnen haben, dem Zufall überlassen, jeden ihrer nicht sonderlich prickelnden Scherze wird die Co-Moderatorin Petra Mede mindestens drei Mal gerissen haben, ehe er das Licht der Fernsehwelt erblickt; und dass die auftretenden Musiker ihren Song längst nicht mehr hören können, wenn sie ihn am Samstagabend dann tatsächlich singen: das glaubt man sofort.

Eine übermäßige Kommerzialisierung des Spektakels, das muss man umgekehrt angenehmerweise auch sagen, ist nicht zu beobachten. Ob’s an den Zwangsgebühren liegt, die jeder deutsche Haushalt für den Besitz eines Fernsehers zu entrichten hat – was uns als Hauptmitfinanzier des Events immerhin einen Startplatz im Finale sichert, wo ansonsten Jamie-Lees Teilnahme wohl eher fraglich gewesen wäre –, mag im Auge des Betrachters liegen. Jedenfalls heischen in Stockholm keine Großsponsoren penetrant um Aufmerksamkeit, keiner der offiziellen Partner – unter anderem ein Glühbirnenhersteller sowie ein Haarsprayfabrikant aus Deutschland – drängt einem seine Parolen auf, und es wird auch bei der diesjährigen Übertragung keine Reklamepausen geben.

Neu allerdings ist das Abstimmungsverfahren, mit dem – offiziell – mehr Spannung gewährleistet und – so darf man inoffiziell vermuten – die leidige Punktezuschusterei eingedämmt werden soll. Wie es genau funktioniert und ob überhaupt, konnte in Stockholm niemand stichhaltig erklären, aber das werden wir dann ja am Samstag sehen. Sehen werden wir dort auf jeden Fall Justin Timberlake, denn einer muss schließlich die Abstimmungspause befüllen. Sehen werden wir dort ebenfalls die deutsche Teilnehmerin, die in der Gunst der Buchmacher nach wie vor deprimierend schlapp abschneidet, obwohl sie in den Votings der ESC-Fanclubs und der versammelten Presse in Stockholm weitaus besser wegkommt. Sehen können, jenseits des dann abgeebbten Rummels, alle Interessierten sie dann aber doch noch einmal hautnah: am Donnerstag wurde ihre erste Tour angekündigt, die sie am 21. Oktober auch in das Stuttgarter Wizemann führen wird. Mehr zu alledem folgt in der kommenden Ausgabe unserer Zeitung sowie im Online-Liveticker am Samstagabend.