Mit einer ungewöhnlichen Performance will Serbien beim ESC in Turin für Aufmerksamkeit sorgen: Die serbische Sängerin „Konstrakta“ will sich auf der Bühne drei Minuten lang die Hände waschen. Ein Zeichen gegen Perfektionswahn?
Eine Pop-Außenseiterin sorgt schon Tage vor dem diesjährigen Eurovision Song Contest in Turin am 14. Mai für Furore. Noch vor zwei Monaten war die Sängerin Ana Djuric „Konstrakta“ außerhalb der serbischen Landesgrenzen allenfalls den Liebhabern der alternativen Musikszene in den Staaten der sogenannten „Jugosphäre“ bekannt. Nun wird die 43-jährige nicht nur in den ex-jugoslawischen Staaten als „Serbiens Lady Gaga“ gefeiert: Die Zahl der Netzklicks für ihren ESC-Beitrag „In Corpore Sano“ hat die Zahl der serbischen Einwohner in wenigen Wochen mit über 16 Millionen bereits weit übertroffen. Und auch die Aufnahmen ihre ersten Proben in Turin werden eifrig geklickt.
Eigentlich hatte sich die frühere Sängerin von Belgrader Indiepop-Bands wie „MistakeMistake“ oder „Zemlja Gruva“ von ihrem Auftritt bei der serbischen Vorausscheidung nur etwas Werbung für ihr neues Video namens „Triptih“, zu Deutsch: Triptychon, erhofft: Die aus drei Songs bestehende Filmperformance nimmt hintergründig soziale Normen wie das Ideal der ewigen Jugend, das Tabu des Alterns, den Schönheits- und Gesundheitswahn oder die Hatz nach Geld, Macht und Prestige aufs Korn. Als „Lied, das nicht geschrieben wurde, um dem Eurovision-Publikum zu gefallen“ umschreibt die Belgrader Zeitung „Danas“ den Beitrag „In Corpore Sano“. Bei der serbischen Vorentscheidung im März wurde der Sprechgesang dennoch sowohl von der Fachjury als auch dem Publikum einstimmig zum klaren Sieger gekürt.
„Ich habe keine Krankenversicherung“
Kein Balkan-Goldkehlchen mit Liebesschnulzen in zu knapper Kleidung, sondern eine studierte Architektin und Mutter mit tiefsinnigen, von ihr selbst verfassten Botschaften: Konstrakta fragt sich im Sitzen und in weißer Mediziner-Kleidung, was das „Geheimnis hinter dem gesunden Haar von Meghan Markle“ sei. Ständig in einem Waschzuber ihre Hände waschend philosophiert die Sängerin mit dem Handtuch über der Schulter über den Zusammenhang zwischen dunklen Augenringen und Leberproblemen, Hautflecken und einer vergrößerten Milz. Gott habe ihr die Gesundheit gegeben, „aber ich habe keine Krankenversicherung“, so Konstrakta.
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Der hypnotische Refrain „die Künstlerin muss gesund sein, gesund sein, gesund sein“ scheint zu Corona-Zeiten zumindest das Lebensgefühl ihrer Landsleute zu treffen. Doch so richtig vermag sich die Sängerin und Komponistin selbst ihren ebenso plötzlichen wie späten Karriereerfolg nicht zu erklären. „Bild und Ton“ hätten beim Belgrader Eurovision-Vorentscheid wohl einfach gepasst: „Im Publikum machte es klick und danach ging es von allein.“
Auslandsauftritte von Israel bis Kroatien
Die ausführlichen, in der Presse der Region veröffentlichten Analysen ihrer Texte übertrifft deren Länge mittlerweile bei weitem. Manche Musikkritiker fühlen sich bei ihrer Handwasch-Performance an Balkan-Politiker erinnert, die ihre Hände gerne ständig in Unschuld waschen. Andere sehen ihren Song von der serbischen Konzeptkünstlerin Marina Abramovic inspiriert oder wittern in diesem eine harsche Kritik an den Zuständen des Gesundheitssystems, an der „kranken“ Gesellschaft sowie an der schlechten sozialen Absicherung freier Künstler. Die Texte ihrer Lieder hätten „viele Schichten“ und „eine Million Unterthemen“, sagt die Sängerin selbst: „Jeder sollte sich selbst auswählen, was er heraushören mag.“
Ihre überraschende Kür zu Serbiens Eurovision-Hoffnungsträgerin hat der Interpretin in den letzten Wochen viel beachtete Auslandsauftritte von Israel bis Kroatien beschert. Serbische Buchmacher schreiben Konstrakta hinter den Favoriten aus der Ukraine und Italien mittlerweile gar wachsende Außenseiter-Chancen zu. Doch für einen Überraschungserfolg bei Europas Song-Wettbewerb wirkt ihr Beitrag einfach zu unorthodox. Siegesambitionen scheint Konstrakta selbst auch keine zu hegen. Sie hoffe auf den Einzug ins Finale und freue sich vor allem über ihren bisherigen Erfolg: „Das zeigt, dass es die Kapazität zum Hören gibt.“