Eigentlich sollte die europäische Rakete Ariane 6 längst ins All fliegen. Doch der Erstflug verzögerte sich. Nun könnte es so weit sein. Europa setzt große Hoffnungen in den Start.
Nach zehn Jahren des Wartens soll die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 zum ersten Mal ins Weltall fliegen und Europas Raumfahrt damit aus der Krise seines Trägerraketensektors befreien. Am Dienstag (9. Juli) ab 20 Uhr MESZ soll der Jungfernflug vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana versucht werden.
Die 56 Meter hohe und 540 Tonnen schwere Rakete hat dann einen knapp dreistündigen Flug vor sich. An Bord sind dabei auch technische Passagiere aus Deutschland. Die Ariane nimmt unter anderem die Raumkapsel Nyx Bikini von The Exploration Company sowie die Satelliten OOV-Cube von RapidCubes und Curium One von Planetary Transportation Systems mit ins All.
Wetterexperte sieht gute Chancen für Start
Die Wetterexpertin am Weltraumbahnhof, Anne-Sophie Chassagnou von der französischen Weltraumbehörde Cnes, ist optimistisch, dass es mit einem Start wie anvisiert klappen könnte. „Die Tendenz ist großartig.“
Die Expertin prüft, ob Gewitter oder starker Wind dem Flug im Weg stehen könnten. Ist das nicht der Fall, wird das Arbeitsgerüst, das derzeit noch um die Ariane 6 herum steht, weggezogen wird, um die Rakete freizulegen.
Für den Erstflug wurde bereits begonnen, Helium in ein Gefäß in der Hauptstufe zu füllen. Fünf Stunden vor der anvisierten Startzeit sollen auch die Raketentanks befüllt werden.
Ariane 6 – eine moderne Rakete?
Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Sie soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.
Beschlossen wurde die Entwicklung der Rakete bereits vor einem Jahrzehnt. Der Chef der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa, Josef Aschbacher, ist überzeugt, dass die Rakete dennoch den aktuellen Herausforderungen entspricht.
Die Esa preist die Ariane 6 als modular und flexibel an. Je nach Mission kann sie mit zwei oder vier Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder längeren Oberteil behausen.
Wichtiger Beitrag Deutschlands
Auch Deutschland trägt dem Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Walther Pelzer zufolge entscheidend zu den Neuerungen der Rakete bei. „Bei der Ariane 6 hat Deutschland mit der wiederzündbaren Oberstufe die wichtigste Innovation verantwortet sowie in Deutschland gefertigt.“
Der Vorteil des bis zu viermal zündbaren Vinci-Triebwerks der Oberstufe ist, dass die Rakete so Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern und auch Konstellationen in den Weltraum bringen kann.
Vier deutsche Standorte arbeiten an neuer Rakete
Montiert wird die Oberstufe im Bremer Werk des Raumfahrtkonzerns ArianeGroup. Die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks kommen aus Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen Lampoldshausen wurde das Vinci-Treibwerk getestet.
Auch finanziell ist Deutschland bei der Ariane 6 stark engagiert und nach Frankreich der größte Geldgeber unter den Esa-Ländern. Die Bundesrepublik hat etwa 20 Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete geschultert. Insgesamt waren gut ein Dutzend Länder am Bau der Rakete beteiligt.
Experte: Ariane 6 nicht auf Höhe der Zeit
Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden meint allerdings trotz der Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerin der Ariane 6, die Rakete sei keinesfalls auf der Höhe der Zeit. Bereits 2015 habe das US-Unternehmen SpaceX mit der Falcon-9-Rakete das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt eingeleitet.
Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen stellt zumindest in Aussicht: „Die nächste Rakete, die die Ariane 6 ersetzen wird, wird eine wiederverwendbare Rakete sein.“ Derzeit plant die Esa, ihre neue Trägerrakete mindestens bis Mitte der 2030er Jahre zu nutzen.
Ursprünglich hätte die Ariane 6 bereits vor vier Jahren ins All starten sollen. Die letzte Ariane 5 hob vor fast genau einem Jahr das letzte Mal in den Weltraum ab. Seitdem hat Europa keine eigenen Mittel mehr, um größere Satelliten ins All zu bringen und steckt mit seinem Trägerraketensektor in einer tiefen Krise. Teils wich die Esa auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX aus.
Probleme auch bei Rakete für kleinere Satelliten
Die Krise ist für Europa umso verheerender, als es auch für kleinere Satelliten aktuell keinen eigenen Zugang zum All gibt. Im Dezember 2022 scheiterte der erste kommerzielle Start der Vega C. Seitdem ist die Rakete am Boden. Im November soll sie erstmals wieder abheben.
Walther Pelzer zufolge ist der Erststart deshalb sowohl strategisch als auch industriepolitisch sehr wichtig für Europa und Deutschland. Und während es vom Raketenbauer ArianeGroup vorsichtig heißt, der Jungfernflug sei im Grunde auch der ultimative Testflug, ist Tolker-Nielsen von der Esa sich sicher: „Es wurde alles getan, damit es ein Erfolg wird. Wenn es scheitert, wäre das wirklich schlimm.“