Europakritische Bewegungen erhielten auch bei den dänischen Parlamentswahlen Zulauf Foto: imago stock&people

Der Ausgang der dänischen Wahlen reiht sich nahtlos ein in eine Serie von Wahlerfolgen für populistische, europakritische Gruppierungen. Hinter populistischen Strömungen in Europa verstecken sich Abstiegsängste, meint Hauptstadtkorrespondent Norbert Wallet.

Berlin - Es sind trübe Tage für Europa. In Brüssel lassen es die Staats- und Regierungschefs in der Frage der Griechenlandhilfen tatsächlich zu einem für beide Seiten beschämenden Showdown kommen. Und in Dänemark wird bei den Parlamentswahlen eine Partei zum entscheidenden Machtfaktor, die auf geschlossene Grenzen, einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge und eine Renationalisierung der Europapolitik setzt.

Der Ausgang der dänischen Wahlen reiht sich nahtlos ein in eine Serie von Wahlerfolgen für populistische, europakritische Gruppierungen. Da macht übrigens auch die Podemos-Bewegung in Spanien keine Ausnahme, die sich zwar einen zeitgeistig-linken Anstrich gibt, aber auch von denselben eurofeindlichen Vorurteilen profitiert. Gemeinsam ist diesen Strömungen ein Grundaffekt: die Überzeugung nämlich, dass im kuscheligen nationalen Nest die Stürme der Globalisierung leichter zu überstehen seien. Das ist natürlich gefährlicher Unsinn. Ein Reflex, der an die Naivität eines Kindes erinnert, das glaubt, nicht gesehen zu werden, wenn es nur die Hände vor die Augen schlägt.

Simple Botschaft nicht rübergebracht?

Man kann das beklagen und diese Affekte lächerlich machen. Aber sie existieren nun mal und nehmen mit Macht Einfluss auf die europäischen Zustände. Offenbar haben die politischen Eliten den simplen Sachverhalt nicht erklären können, dass in einer Zeit globalen Austausches von Informationen, Waren und Dienstleistungen die kleinen europäischen Nationen jede für sich nichts, aber auch gar nichts mehr in ihrem Sinne weltpolitisch und -ökonomisch bewegen können. Warum ist das so?

Früher war diese Überzeugungsarbeit offensichtlich leichter. Da wirkte die große europäische Verheißung noch: ein grenzenloses Europa als Zone des Friedens. Das war der Kriegs- und den ersten Nachkriegsgenerationen noch unmittelbar einsichtig. Diese Botschaft, der tiefste Sinn einer Europäischen Union, hat heute nichts an Bedeutung verloren. Ganz im Gegenteil. Man siehe nur die andauernden oder neuen Konflikte auf dem Balkan und in Osteuropa. Aber verloren hat sich das Bewusstsein, dass der Friede keine Selbstverständlichkeit ist. Selbst die Eltern der heutigen Studentengenerationen kennen den Krieg in Kerneuropa nur aus Erzählungen ihrer Eltern.

Europa braucht eine zeitgemäße, zusätzliche Rechtfertigung

Diesen Mangel an Bewusstsein für die größte Errungenschaft der europäischen Einigung kann man beklagen. Aber er ist eine Realität. Woraus folgt, dass Europa eine zeitgemäße, zusätzliche Rechtfertigung braucht. Die neue Verheißung Europas muss neben dem Friedensversprechen ein Europa der sozialen Gerechtigkeit, des Wohlstands und der individuellen Freiheit sein. Werden diese Hoffnungen nicht eingelöst, verliert die Einigung an Bindekraft. Tatsächlich aber verstecken sich hinter all den populistischen Strömungen in Europa Abstiegsängste. Die sind nicht immer irrational, wie sich im Süden des Kontinents zeigt. Übrigens geht die Schere zwischen oben und unten, Fortschrittsgewinnern und -verlierern auch in den reichen Gesellschaften des Nordens stetig auseinander.

Und genau hier entscheidet sich das Schicksal der EU. Sie muss für ihre Bürger erkennbar sozial und solidarisch sein, oder sie wird scheitern. Das ist kein Plädoyer dafür, auch noch die unfähigsten nationalen Verwaltungen dauerhaft zu alimentieren oder über die korruptesten Strukturen gnädig hinwegzusehen. Aber auch in der Griechenland-Frage darf nicht der Eindruck entstehen, dass die kleinen Leute auf Kosten von mächtigen Interessen die Zeche zahlen.