Ausschnitt aus der Performance „Die Liebe“, mit Fermesk Mustafa Abdolrahman, Natascha Kuch, Edith Koerber, Babra Tandare-Gundermann und Franziska Sophie Schneider (v. li.) Foto: Tri-Bühne/Stefan Kirchknopf

Wajdi Mouawad ist mit dem „Europäischen Dramatikerpreis“ geehrt worden. Die Festzeremonie wurde allerdings der Pandemie wegen auf irgendwann verschoben. Geblieben sind zwei Drittel des Rahmenprogramms, für das sich die beiden Stuttgarter Theater Tri-Bühne und Studio Theater mit Texten Mouawads beschäftigt haben.

Stuttgart - Worte finden für das Grauen des Krieges, für Mord, Terror, Folter, Vergewaltigung und die Familientragödien, die daraus erwachsen: für den libanesisch-kanadischen Dramatiker und Regisseur Wajdi Mouawad ist das Theater Ventil – ein komplexes Sprachfindungsmedium für die eigenen Kriegs-, Flucht- und Exiltraumata. In seinen Theaterstücken verstummen die Menschen oft angesichts des Leides, andere schreien die angestaute Wut und Verzweiflung irgendwann heraus. „Theater ist für mich eine Form des Angriffs“, die Zuschauer sollten das Theater „zerschlagen“ verlassen, sagte er einmal.

Mouawads französischsprachige Stücke, besonders „Verbrennungen“ und „Vögel“, werden weltweit gespielt und wurden in über 20 Sprachen übersetzt. Auch für seine globale Strahlkraft wurde er jetzt vom Schauspiel Stuttgart und dem Kunstministerium Baden-Württemberg mit dem ersten „Europäischen Dramatikerpreis“ geehrt. Der Nachwuchspreis ging an die britische Autorin und Schauspielerin Jasmine Lee-Jones. Die Festzeremonie zum Preis, die das Stuttgarter Schauspiel für das vergangene Wochenende geplant hatte, wurde allerdings der Pandemie wegen auf irgendwann verschoben. Geblieben ist zwei Drittel des nunmehr etwas im luftleeren Raum hängenden Rahmenprogramms, für das sich die beiden kleinen, politisch engagierten Stuttgarter Theater Tri-Bühne und Studio Theater mit Texten Mouawads beschäftigt haben.

Sie verstummt in ihrer Trauer

In der Tri-Bühne hat die Intendantin Edith Koerber eine musikalische Performance, „Die Liebe“, inszeniert. Auch bei Mouawad ist ja die Liebe der große Hoffnungsschimmer am Horizont, bei allem Grauen. Koerber, nimmermüde, in ihrem Theater auf weltweite politische Missstände hinzuweisen und immer auch gerne interkontinental kooperierend, geht dabei holzschnittartig vor. Auf der Bühne, einem einfachen schwarzen Podest, stehen fünf Frauen mit unterschiedlichem kulturellem Background, gekleidet in gleichmachende lange Tuniken. Es werden Texte von Mouawad rezitiert, gleich zu Beginn seine Rede „Das Messer in der Kehle“ zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2017. Koerber spricht sie selbst, diese Rede, die zurückgreift auf die Zeiten des trojanischen Krieges und die Königin Hekuba, die verstummte in ihrer Trauer über den Tod ihres Sohnes. Koerber geht dem Pathos Mouawads dabei ein bisschen auf den Leim.

Fermesk Mustafa Abdolrahman würzt den Vortrag mit arabischen Sentenzen und Vokalisen des Weinens. Ein weiterer Text evoziert eine grausame Kriegsszenerie, eine Gewaltspirale der Rache. 23 Kinder wurden ermordet, ein Vater foltert seinen eigenen Sohn. Szenenwechsel: Dem Grauen wird, nicht ganz nachvollziehbar, afrikanische Lebensfreude gegenübergestellt. Die aus Simbabwe stammende Musikerin Babra Tandare-Gundermann singt, sich selbst zart auf der Marimba begleitend, ein Lied aus ihrer Heimat, tanzt danach einen lustigen, wilden Tanz. Da passt dann auch in die Performance noch schnell ein Gedicht der Nachwuchspreisträgerin Jasmine Lee-Jones hinein: „Selbst im Tod entstellt ihr mich, verdrängt mich, löscht mich aus.“ Am Ende werden Plakate ausgepackt, die weltweite Unterdrückung der Frau gebrandmarkt: „Wir werden nicht mehr schweigen!“

Zwischen Schmerz und Liebe

„Im Herzen tickt eine Bombe“ heißt Mouawads Monolog, den Christof Küster im Studio Theater als szenische Lesung auf die Bühne gebracht hat: Der Weg ins Krankenhaus zu seiner sterbenden Mutter löst in einem jungen Mann einen äußerst schmerzhaften Erkenntnisprozess aus. Auch in ihm hinterließen Krieg und Migration seelische Wunden, die nun aufbrechen: im inneren Zwiegespräch zwischen Schmerz und Liebe, Wut und Zärtlichkeit. Mit wenigen Mitteln – Kamera, Leinwand, Kunstschnee – weitet sich der Raum auf der engen Bühne. Küsters Idee, den Monolog auf zwei Schauspieler aufzuteilen, bringt zwar Abwechslung, aber Irfan Kars hat den Text auch darstellerisch so verinnerlicht, dass er ihn hätte ohne Lese-Manuskript spielen können. Hätte er es alleine getan, wäre die Wirkung des Textes wesentlich intensiver gewesen.

„Die Liebe“ in der Tri-Bühne, weitere Termine am 23., 25., 30. September und am 15. Oktober, jeweils um 20 Uhr