Ursula von der Leyen bei ihrem Auftritt in Brüssel Foto: AFP/VALERIA MONGELLI

In einer Grundsatzrede legte die EU-Kommissionspräsidentin ihre China-Strategie dar. Selten ist eine europäische Spitzenpolitikerin derart kritisch gegenüber der aufstrebenden Weltmacht aufgetreten.

Es ist erfrischend, wenn Politiker öffentlich aussprechen, was sonst meist nur in Hintergrundbriefings gesagt wird. Ursula von der Leyen wählte am Donnerstag in einer Grundsatzrede zu China klare Worte: Pekings „klares Ziel ist ein systemischer Wandel der internationalen Ordnung mit China in dessen Zentrum“, sagte die EU-Kommissionspräsidentin. Und sie bezeichnete Xi Jinpings Abschiedsworte, die er an Putin gegen Ende seines jüngsten Moskau-Besuchs richtete, als „aufschlussreich“: „Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben. Und wir sind diejenigen, die diese Veränderungen gemeinsam vorantreiben“, hatte Chinas Staatsoberhaupt im Kreml gesagt.

Umgang mit der neuen Weltmacht

Wie zu erwarten war, hallten seine Worte auch in Brüssel nach. Dort hat man von der Leyens Rede vom Donnerstag mit Spannung erwartet. Für Peking war schon der Auftritt der CDU-Politikerin an sich eine Provokation: Beim Co-Gastgeber der Veranstaltung handelt es sich die Denkfabrik Merics mit Sitz in Berlin, die von der chinesischen Regierung im Jahr 2021 sanktioniert und diffamiert wurde. Das hat damals vielen EU-Politikern deutlich vor Augen geführt, wie empfindlich Peking auf Kritik reagiert – allen voran, wenn es wie in der damaligen Causa um Menschenrechtsverletzungen in der nordwestchinesischen Region Xinjiang geht.

Von der Leyen ließ sich dadurch nicht einschüchtern: Wohl noch nie hat eine europäische Spitzenpolitikerin von derart hohem Rang so umfassend, kritisch und konkret dargelegt, wie die EU mit der neuen Weltmacht umgehen sollte. Der renommierte China-Experte Noah Barkin brachte es auf der Online-Plattform Twitter auf den Punkt: „Von der Leyen hat die Rede über China geliefert, auf die Europa gewartet hat.“

Die 64-Jährige sprach zunächst sämtliche Konfliktthemen an: Chinas Loyalität gegenüber Russland, die ökonomischen Erpressungskampagnen und auch die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen. Immer wieder ging es auch darum, wie sich das Land unter Xi Jinping gewandelt hat: Die Ära von Reform und Öffnung sei vorbei, nun fokussiere sich Peking auf nationale Sicherheit und Kontrolle. Chinas Staatsführung trete nach innen repressiver auf, nach außen selbstbewusster. „Unsere Beziehungen sind unausgewogen und werden zunehmend von Verzerrungen beeinflusst, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“, sagte von der Leyen. „Daher müssen wir diese Beziehungen auf der Grundlage von Transparenz, Berechenbarkeit und Gegenseitigkeit neu austarieren.“

Eine Entkoppelung lehnt die Deutsche ab. Doch eine „Risikominderung“ propagiert sie offensiv: Kritische Abhängigkeiten gegenüber China sollen reduziert, Investitionen beschränkt und die Beziehungen zu demokratischen Nachbarstaaten systematisch ausgebaut werden.

Reise mit Macron nach Peking

Insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt sind dies mutige Worte. Denn von der Leyen wird in wenigen Tagen höchstpersönlich in Peking erwartet. Gemeinsam mit dem französischen Präsident Emanuel Macron wird von der Leyen Anfang April nach China reisen. Dort wird die Regierung sie sicherlich kühl begrüßen. Von der Leyens Worte sind genau das, was Peking verhindern möchte: Dass die EU eine geeinte, kritische Stimme gegenüber China findet. Bis jetzt agiert China schließlich nach dem Prinzip „herrsche und teile“. Vor allem aber möchte Peking einen Keil zwischen Washington und Brüssel treiben: Ein transatlantischer Schulterschluss gilt als schlimmstmögliches Szenario für Xi Jinping.

Doch der 69-Jährige hat ganz offensichtlich unterschätzt, wie ernst die meisten europäischen Staaten die „Zeitenwende“ nach dem Ukraine-Krieg nehmen. Dass Xi sich seit der russischen Invasion demonstrativ an die Seite Putins stellte, war ein Schock, der auch unter vielen westlichen Diplomaten in Peking bis heute anhält. Nach wie vor ist kein einziges Wort der Kritik gegenüber Moskau zu vernehmen – nicht einmal zu der geplanten Stationierung von russischen Nuklearwaffen in Belarus.