Europa-Fahnen vor dem Parlamentsgebäude in London: Premier Johnson sagt, dass Großbritannien die EU notfalls auch ohne Abkommen verlassen werde. Foto: AFP

Die EU will im Brexit-Streit mit den Briten standhaft bleiben. Premier Johnson wird in Kürze in Berlin erwartet. Er dürfte ahnen, dass es dort wenig harmonisch zugehen wird.

Berlin - Im Brexit-Streit geht der neue britische Premier Boris Johnson auf Konfrontationskurs zur Europäischen Union – doch deren Vertreter zeigen sich demonstrativ unbeeindruckt. Man sei bereit für weitere Gespräche, aber das ausverhandelte Austrittsabkommen werde nicht wieder aufgeschnürt, lautet die Linie in Brüssel und den nationalen Hauptstädten. Änderungen könne es allenfalls an der Politischen Erklärung geben, die die zukünftigen Beziehungen umreißen soll.

Das dürfte auch der Tenor eines Telefonats von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Johnson am Freitag gewesen sein. Merkel habe Johnson zum neuen Amt gratuliert und ihm eine „glückliche Hand“ gewünscht, hieß es danach. Zudem habe Merkel Johnson zu einem baldigen Besuch nach Berlin eingeladen. Der Premier habe diese Einladung angenommen.

Prinzip „teile und herrsche“

Beobachter rechnen damit, dass Johnson noch einen Versuch unternehmen wird, die 27 Mitgliedstaaten auseinander zu dividieren. Das müsse verhindert werden, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), im Gespräch mit unserer Zeitung. „Für die EU kommt es jetzt darauf an, Ruhe und Geschlossenheit zu bewahren.“ Mit Blick auf Johnsons erste Rede als Premierminister im Parlament sagte McAllister: „Die Rede im Unterhaus hat gezeigt, dass Johnson seine harsche Rhetorik aus dem innerparteilichen Wahlkampf fortsetzt. Das war zu erwarten.“

Der neue Regierungschef hatte am Donnerstag bekräftigt, dass sein Land am 31. Oktober notfalls auch ohne Vertrag aus der EU austreten werde. Ziel sei es, einen „neuen Deal, einen besseren Deal“ durchzusetzen. Sein Kabinett hatte Johnson zuvor mit Brexit-Hardlinern besetzt. Das mit den Europäern ausgehandelte Austrittsabkommen war unter Johnsons Vorgängerin Theresa May mehrfach im Unterhaus durchgefallen.

Strittig ist unter anderem eine Regelung, die verhindern soll, dass wieder eine Grenze mit Zoll- und Personenkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland entsteht. Bleibt es bei der Blockade im Parlament oder gibt es keine erneute Verschiebung des Austrittsdatums, dann verlässt Großbritannien die EU Ende Oktober in einem ungeregelten, chaotischen Verfahren.

Kampf um die Deutungshoheit

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Link sagte, Johnson wisse natürlich, dass die EU nicht zu Nachverhandlungen bereit ist. Er werde vermutlich versuchen, in der britischen Öffentlichkeit den Europäern die Verantwortung für einen ungeordneten Brexit zuzuschieben. „Die Europäer müssen jetzt ihrerseits durch Öffentlichkeitsarbeit in Großbritannien klar machen, dass nur einer einen unkontrollierten Brexit will: Boris Johnson.“