Bei Zeus, nichts als Wüstlinge im gemeinsamen Haus: Gabriele Hintermaier, Michael Stiller, Milan Gather, Viktoria Miknevich und Caroline Junghanns (von links) auf ihrem Streifzug durch die Geschichte Foto: Björn Klein

Im Stuttgarter Nord zeigt die Regisseurin Cornelia Maschner „Europa verteidigen“, ein Zeitstück von Konstantin Küspert. Ihre Inszenierung wirft Schlaglichter auf einen strauchelnden Kontinent – und bietet Kabarett, das mit Trash flirtet.

Stuttgart - Dass der Titel eines Theaterstücks auch zur griffigen, lauthals verkündeten Demo-Parole taugen würde, kommt eher selten vor. In der Regel mischen sich Dramatiker mit ihren Arbeiten nicht ins Handgemenge auf der Straße ein. Sie meiden das Plakative wie die Pest – und wenn nun der 1982 geborene Konstantin Küspert diesen Verdacht trotzdem nährt und seiner Szenencollage einen Namen gibt, der wie eine Forderung auf einer Großkundgebung klingt, kann er nur Hintersinniges im Schilde führen: „Europa verteidigen“ – ohne Zweifel, sein Stücktitel ist eine klare Ansage, aber wo in Zeus’ Namen wird da zur Wehrhaftigkeit aufgerufen? Auf einer Bühne von Pegida? Oder, politisch konträr, vom hoffnungsvoll für den Kontinent schlagenden Pulse of Europe?

Die Bühne im Nord, wo die Bilder des umkämpften Europas aufgeführt werden, schlägt sich politisch auf keine Seite. Ästhetisch schon: Der Raum betont das Spielerische, Improvisierte, Trashige. Helen Stichlmeir hat für die Regisseurin Cornelia Maschner ein buntes Sammelsurium von Wohnelementen in das mal europäische, mal germanische Haus gestellt. In der Mitte eine gelbe Backsteintheke, links ein roter Cola-Automat, aus dem Schellack-Schlager der zwanziger Jahre dringen, und rechts ein braunes Toilettenhäuschen, aus dem zum Auftakt auch etwas quillt. Hoppla! Notdurft aus Brüssel? Die EU als Kloake?

Tanz den Hasselhoff!

Glücklicherweise nicht: Aus dem miefigen stillen Örtchen platzen wie Springteufel fünf Schauspieler und legen eine Choreografie zur Hasselhoff-Hymne „Looking for Freedom“ hin, munter aufgekratzt wie beim Eurovision Song Contest, entschlossen kämpferisch wie beim Taekwondo, strikt militärisch wie bei einer Parade – wobei der soldatische Eindruck des rhythmisch zuckenden Quintetts von den Kostümen verstärkt wird, die Ottavia Troester entworfen hat. Auf Hosen, Hemden und Jacken tragen die Tänzer zitathaft Armeeabzeichen, weshalb hinter der guten Laune der Freiheit unübersehbar der Drill des Kasernenhofs lauert – und nicht zuletzt die Gewalt, mit der die furiosen fünf diese Freiheit schützen werden vor Eindringlingen von außen. „Europa verteidigen“, wenn der Ernstfall eintritt: Der Doppelsinn des Stücktitels, changierend zwischen „Festung Europa“ und „Europa als Wertegemeinschaft“, durchzieht den gesamten, 75 Minuten kurzen Szenenreigen des weiblichen Leitungsteams.

Die Ambivalenzen auslotende Textcollage von Konstantin Küspert besteht aus drei Strängen. Die von der Regie eigensinnig hinzugefügte Freedom-Ouvertüre leitet die aktuelle Europadebatte ein, aufgespannt – ohne namentlich je erwähnt zu werden – zwischen den Positionen von Pegida und Pulse of Europe, zwischen Staatenbund abschaffen und Staatenbund stärken.

Historisch grundiert wird die vom Dramatiker im spröden Leitartikelton geführte Auseinandersetzung von Rekursen auf den antiken Gründungsmythos sowie von Erinnerungen an die gewaltvolle Geschichte des Kontinents: Der Kampf gegen die „Feinde des Abendlands“ zieht sich als blutroter Faden durch Europas Historie.

Mal müssen Hannibals Afrikaner aus Italien verjagt werden, mal Juden und Muselmanen aus Jerusalem, mal abermals – via Völkermord, befohlen in Berlin – Schwarzafrikaner aus Deutsch-Südwestafrika. Bei den Streifzügen in die kriegerische, kreuzzüglerische, kolonialistische Vergangenheit des unfriedlichen Kontinents lässt Küspert historisch verbürgtes Personal auftreten – und dass diese Feldherren im Stuttgarter Nord aussehen, als wären sie einer albernen Sketchcomedy entlaufen, ist symptomatisch für die Probleme der Inszenierung, die unbekümmert zwischen Raum und Zeit, Nationalismus, Globalisierungskritik und Absurditäten des EU-Alltags hin und her hüpft.

Es lebe das gute, alte Ensemblekabarett

Denn was die lustig sein wollende Regie bietet, ist Kleinkunst. Ist altes, leicht verstaubtes Kabarett. Dass es heftig mit dem Trash flirtet, um bei jungen Leuten als hip durchzugehen, kann über die konventionelle Art, mit der Europa hier durch die Mangel gedreht wird, nicht hinwegtäuschen. Es ist die bewährte Sechziger-Jahre-Methode der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, des Düsseldorfer Kom(m)ödchens, der Leipziger Pfeffermühle, derer sich Maschner bedient, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Das klassische Ensemblekabarett liefert mit Wortwitz, Pointendichte und Treffsicherheit die bessere und klügere Unterhaltung als jetzt die Nummernrevue im Nord, durch die sich die Schauspieler Milan Gather und Michael Stiller, Gabriele Hintermaier, Caroline Junghanns und Viktoria Miknevich hangeln. Sie tun das, zugegeben, mit routinierter Sprech- und Darstellungskunst. Doch trotz ihrer Mühen lässt sich „Europa verteidigen“ – als Stück und Inszenierung – nicht verteidigen. Dazu fehlt jegliche Überzeugungskraft.

An der korrekten Gesinnung des 36-jährigen Küspert indes ist nicht zu zweifeln. Dass uns das Friedensprojekt Europa von „Populisten unterm Arsch weggeklaut“ wird, dürften wir keinesfalls zulassen, sagt der politisch denkende Autor. Recht hat er – und deshalb ist es auch sehr begrüßenswert, dass sich das Schauspiel von Armin Petras in den kommenden Wochen verstärkt um den gebeutelten Kontinent kümmert. Eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen mündet Anfang Juni in das internationale Theaterfestival „The Future of Europe“. Und dann heißt es wieder: Bühne frei für die offene Spielgesellschaft von Mailand bis Moskau!

Aufführungen
in der Spielstätte Nord am 11. Mai sowie am 9. und 25. Juni