David Cameron (li.) wird von Jean-Claude Juncker zum EU-Gipfel empfangen. Foto: dpa

Nach dem Brexit hat Cameron bei seinem mutmaßlich letzten EU-Gipfel eine geballte Ladung Gefühle abbekommen.

Brüssel - Für David Cameron muss es ein schwerer Gang nach Brüssel gewesen sein. Bei seinem mutmaßlich letzten EU-Gipfel hat er eine geballte Ladung Gefühle abbekommen. Eiseskälte, Isolation, Wut. All dies dürfte er gespürt haben, als es hinter verschlossener Tür zur Sache ging. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) berichtete schon kurz nach Beginn: „Ich habe wohl noch nie in meiner Amtszeit eine Atmosphäre erlebt wie heute Nachmittag.“ Deutlich sei das Gefühl der Unsicherheit in der Runde gewesen. Offensichtlich hinterlassen auch die Reaktionen der Finanzmärkte Eindruck auf die Regierungschefs. „Wer hätte vor fünf Tagen damit gerechnet, dass die Ratingagenturen Großbritannien herabstufen?“ fragt Schulz.

Die Kontinental-Europäer setzen Cameron zwar kein Ultimatum mehr wie noch vor einigen Tagen, bis wann der Austritt formell erklärt sein muss. Aber sie machen deutlich, dass die Sache dringlich ist. Die EU könne nicht in Geiselhaft genommen werden durch die Austrittsentscheidung. Beim Abendessen nach 20 Uhr sollte Cameron Rede und Antwort stehen. Auch Auskunft über den Zeitplan wurde von ihm verlangt. Am Mittwoch, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 28 verbleibenden EU-Länder in informeller Runde beraten, wie die Scheidung ablaufen und wie die EU in Zukunft aussehen soll, dann darf er schon nicht mehr dabei sein.

Sie sind traurig, sie sind wütend, sie sind empört. Hart gesottene Politikerpersönlichkeiten lassen bei diesem ungewöhnlichen Gipfel Gefühlen ihren Lauf. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagt: Er fühle sich, als sei jemand aus seinem Elternhaus gestorben. Der Brexit sei nicht nur eine Frage von Interessen, Märkten und Geld. Ihm werde beim Abschied bewusst, „wie schön das Haus vorher war“. Kanzlerin Angela Merkel tritt eher nüchtern auf: „Dies wird die erste Möglichkeit sein, vom britischen Premierminister persönlich eine Einschätzung zu bekommen.“ Sie deutet an, dass man bald wieder nach vorn gucken muss: „Lösungen müssen gefunden werden, um Europa weiter zu entwickeln.“

Parlamentspräsident Schulz muss buhende Abgeordnete zur Ordnung rufen

Auch das ist ein Zeichen, wie ernst die Lage begriffen wird: Alle 28 Kommissare sind anwesend, als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Morgen in der kurzfristig anberaumten Sitzung des Parlamentes das Wort ergreift. Von den Europagegnern unter den Abgeordneten brandet ihm Spott entgegen. Darauf wechselt Juncker vom Französischen ins Englische und meint: „Ihr habt für den Brexit gekämpft, warum seid ihr jetzt eigentlich noch da?“ Die Botschaft: Sie haben hier nichts mehr zu suchen. Juncker will dann sagen, dass er traurig ist. Wieder kommen hämische Bemerkungen. Darauf Juncker: „Ich bin kein Roboter, ich habe das Recht zu sagen, dass ich traurig bin.“ Ein aufgewühlter wie kämpferischer Juncker tritt dann den Gerüchten, er denke an Rücktritt, entgegen: „Ich bin nicht müde, ich bin nicht krank, ich werde bis zu meinem letzten Atemzug für ein vereintes Europa arbeiten.“

Der Anführer der britischen Europa-Gegner Nigel Farage sitzt nur zwei Plätze von Juncker entfernt. Vor sich in der ersten Parlamentsreihe hat er eine Tisch-Fahne mit dem britischen Unionjack aufgepflanzt. Er kommt nicht weit. „Guten Morgen. Lustig, oder?“ Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) muss die buhenden Abgeordneten zur Ordnung rufen. Dann wird Farage zynisch: Als er vor sieben Jahren in Brüssel angefangen und sein Ziel erklärt habe, sein Land aus der EU zu führen, sei er ausgelacht worden. „Jetzt lachen Sie nicht mehr.“