Die Europäische Zentralbank darf grundsätzlich Staatsanleihen kaufen. Foto: dpa

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil entschieden, dass die Europäische Zentralbank zur Euro-Rettung grundsätzlich Staatsanleihen kaufen darf.

Luxemburg/Frankfurt - Der Europäische Gerichtshof stützt die Anti-Krisen-Politik von EZB-Präsident Mario Draghi und erklärt den Kauf von Staatsanleihen grundsätzlich für rechtens. Abgeschlossen ist der Streit um die Rolle der Währungshüter bei der Euro-Rettung nach dem Luxemburger Urteil vom Dienstag jedoch nicht: Das Bundesverfassungsgericht wird prüfen, was die Entscheidung für deutsches Verfassungsrecht bedeutet. Die Kläger hoffen auf ein Machtwort aus Karlsruhe. Um aktuelle Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) geht es dabei nicht, sondern um ein früheres Programm aus dem Sommer 2012.

Das Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) sei rechtmäßig, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH): „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten“, befand der Gerichtshof (Rechtssache C-62/14).

Als die Eurozone im Sommer 2012 am Abgrund stand, hatte die EZB beschlossen, unter Bedingungen notfalls unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Staatsanleihenkäufe einer Notenbank drücken die Zinsen des betroffenen Landes, das dann weniger für Kredite zahlen muss und zahlungsfähig bleibt. Genutzt wurde das OMT-Programm nie, allein die Ankündigung beruhigte die Märkte.

Kritiker werfen der EZB vor, über Anleihenkäufe verbotenerweise Staatsschulden mit der Notenpresse zu finanzieren. Vor dem Bundesverfassungsgericht hatten die Kläger - unter anderen der CSU-Politiker Peter Gauweiler, Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke und der Verein „Mehr Demokratie“ - Recht bekommen. Die Karlsruher Richter kamen im Februar 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschritten. Die Notenbank dürfe laut EU-Vertrag keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten.

Karlsruhe gab das Thema zur Klärung von EU-Recht an den EuGH. „Die EuGH-Entscheidung widerspricht in den meisten Punkten der Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts müssen nun entscheiden, ob sie auf Konfrontationskurs mit Europa und dem EuGH gehen wollen“, kommentierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.

EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch betonte: „Es ist ein Gefühl der Befriedigung, dass der Europäische Gerichtshof bestätigt hat, dass wir unsere Arbeit ernsthaft gemacht haben und unseren Verantwortlichkeiten gerecht geworden sind.“ Kläger Gauweiler und sein Prozessvertreter, der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek, nannten das Luxemburger Urteil indes „eine Kriegserklärung“ an das Bundesverfassungsgericht. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn sprach von einem „bedauerlichen Fehler“ des EuGH und appellierte an das Bundesverfassungsgericht, sich „nicht beirren“ zu lassen. Sinns designierter Nachfolger, der jetzige ZEW-Präsident Clemens Fuest, bekräftigte: „Der EuGH irrt sich. Das OMT-Programm ist ein Rettungsprogramm der EZB für die hoch verschuldeten Peripheriestaaten. Das ist Fiskalpolitik und keine Geldpolitik.“

Die EZB muss Regeln einhalten

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Ein bisschen gottähnlich ist die EZB geblieben, aber sie ist dann doch in ihrer Gottähnlichkeit auch wieder eingeschränkt worden.“ Der EuGH stellte zwar fest, dass das OMT-Programm nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Die Richter gaben der EZB allerdings vor, die von ihr selbst gesetzten Regeln auch einzuhalten: Die Notenbank müsse - falls sie das OMT-Programm jemals nutze - eine Mindestfrist einhalten und dürfe ihre Entscheidung zum Ankauf oder das Volumen nicht vorher ankündigen.

Nun muss das höchste deutsche Gericht den Luxemburger Richterspruch prüfen. Ob es eine neue mündliche Verhandlung gebe, müsse der Senat noch entscheiden, sagte ein Gerichtssprecher in Karlsruhe. Es spricht vieles dafür, dass Karlsruhe nach Juni 2013 zum zweiten Mal über die Klagen verhandeln wird. Denn mittlerweile sind zwei Richter ausgeschieden und ihre Nachfolger müssen mit den anderen sechs Senatskollegen auf den gleichen Stand kommen.

Faktisch gibt der Luxemburger Richterspruch der EZB Rückendeckung auch bei ihrem aktuellen Kaufprogramm: Seit März 2015 erwirbt die Notenbank in gewaltigem Umfang Staatsanleihen aller Eurostaaten. Monatlich sollen 60 Milliarden Euro an billigem Geld in die Märkte gepumpt werden. Das soll die Konjunktur anschieben und die Inflation anheizen.

Der finanzpolitische Sprecher der Bundestags-Grünen, Gerhard Schick, äußerte sich erleichtert, dass der EuGH die Handlungsmöglichkeiten der EZB gerade angesichts der angespannten Lage im Schuldenstreit mit Athen nicht beschnitten habe. Dass die Diskussion um einen Austritt Griechenlands aus dem Euroraum („Grexit“) „noch kein Finanzmarktchaos in Spanien und Portugal ausgelöst hat, liegt nur daran, dass die EZB bereit ist, zur Not Anleihen dieser Länder zu kaufen“. Athen ringt seit Monaten mit den internationalen Geldgebern um neue Milliarden.