Die EU-Schuldenregeln haben nicht funktioniert, weshalb sie nun reformiert werden. Dazu musste der deutsche Finanzminister viele rigide Positionen räumen, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.
Es ist eine Einigung in allerletzter Minute. Nach Jahren des ermüdenden Ziehens und Zerrens konnten sich EU-Unterhändler auf die Reform der Schuldenregeln verständigen. Das Problem: bei einem Scheitern wären automatisch wieder die Vorgaben des rund 25 Jahre alten sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Kraft getreten. Das aber wäre fatal gewesen, denn die alten Regeln haben nicht funktioniert. In wirtschaftlich guten Zeiten haben sie nicht zum Schuldenabbau beigetragen und in schlechten Zeiten haben sie die Krise durch zu strenge Sparvorgaben verstärkt. Die Einigung ist also eine gute Nachricht für Europa.
Wanderung auf sehr schmalem Grat
Nun steht fest: die Regeln sollen flexibler werden, um der deutlich gestiegenen Schuldenlast seit der Coronapandemie Rechnung zu tragen. Zugleich sollen sie wirksamer durchgesetzt werden, damit die Schulden nicht außer Kontrolle geraten. Beschlossen wurde eine Wanderung auf einem sehr schmalen Grat. Denn zu große Spielräume beim Schuldenabbau könnten einzelne Staaten zum Schlendrian verleiten und die Eurozone wieder gefährden. Allerdings ist es gerade in den klammen Staaten wie Griechenland wichtig, die Wirtschaft mit wachstumsfördernden Staatsausgaben anzukurbeln.
Vollmundige Aussagen von Lindner
Beachtlich sind allerdings die politischen Volten des deutschen Finanzministers Christian Lindner. Positiv formuliert könnte in seinem Fall von einem gewissen Lernprozess gesprochen werden. Noch zu Beginn der hitzigen Diskussionen vor zwei Jahren erteilte Lindner der angestrebten Reform des Stabilitätspaktes vollmundig eine Absage. Er präsentierte sich als Hüter der europäischen Stabilität und plädierte dafür, die alten Regeln beizubehalten.
Viele Ausnahmen bei den Sicherheitslinien
Im Laufe der Zeit schwenkte Lindner dann immer mehr auf die Linie der EU-Kommission ein, die eine deutliche Lockerung der strengen Vorgaben anstrebte. Der Finanzminister aus Berlin betont nun zwar mit großer Beharrlichkeit, dass es für die Staaten in Zukunft weiter messbare Ziele geben wird, in Wirklichkeit bleibt aber ein immenser Interpretationsspielraum. Bei den von Linder durchgesetzten „Sicherheitslinien“ etwa gibt es viele Ausnahmen. Zudem liegt die Kontrolle der Einhaltung der neuen Regeln weiter im Bereich der EU-Kommission. Und die hat in der Vergangenheit sehr gerne ein Auge zugedrückt, wenn ein klammes Mitgliedsland gegen die Vorgaben verstoßen hat.