Europa so fern? Die Politik, die in Brüssel gemacht wird, beeinflusst das Leben von 460 Millionen Europäern sehr konkret. Foto: dpa/Olivier Hoslet

Je weniger Einwohner ein Bundesland hat, desto weniger Referate mit Europa-Politik finden sich in den Organigrammen der Landesregierungen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Politikstudentin Annika Breiter in Brüssel erarbeitet hat.

Brüssel - Je mehr Einwohner ein Bundesland hat, desto stärker ist die Europa-Politik in der Landesregierung verankert. Kleinere Bundesländer weisen in der Verwaltung beachtliche Leerstellen zu Europa auf, auch einige größere Bundesländer haben erstaunliche Defizite. Dies ist das Fazit einer Studie zur Sichtbarkeit der EU-Politik in den Spitzen der Landesverwaltungen, die die Politikstudentin Annika Breiter aus Konstanz als Praktikantin im Büro des Vizepräsidenten des Europa-Parlaments, Rainer Wieland (CDU), erarbeitet hat. Die Studentin hat dafür die Organigramme der Landesregierungen aller 16 Bundesländer auf europapolitische Kompetenzen hin abgeklopft. Sie hat dafür alle Referate in den Ministerien und Staatskanzleien herausgesucht, die einen allgemeinen Bezug zur EU-Politik haben. Wie intensiv Europa-Politik von den einzelnen Landesregierungen konkret verfolgt wird, war nicht Gegenstand der Untersuchung.

Rainer Wieland weist auf die Bedeutung der Europa-Politik für das konkrete Leben der Bürger hin: „Die EU greift in das tägliche Leben aller Bürger ein und betrifft sie auf den unterschiedlichsten Themenfeldern.“ Um die Distanz zwischen der Bevölkerung und den EU-Institutionen abzubauen, sei es daher wichtig, „dass die EU gleichmäßig und stark in allen deutschen Bundesländern sichtbar ist“. Die Präsenz sei auch deswegen wichtig, weil die Bundesländer über den Bundesrat die deutsche EU-Politik beeinflussen können und dadurch ihre berechtigten Interessen wahrnehmen.

Bayern hat keinen eigenen Europa-Minister

In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz ist die Europa-Politik in den Organigrammen der Staatskanzleien und Ministerien laut der Studie am stärksten präsent. Am schwächsten vertreten ist sie demnach in Bremen, Hamburg, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Die Abbildung der Europa-Politik in der Organisation der Landesverwaltung hängt nicht davon ab, ob sich ein Bundesland einen eigenen Europa-Minister leistet, wie dies etwa Baden-Württemberg tut, wo Guido Wolf (CDU) neben Justiz auch für Europaangelegenheiten zuständig ist. Die bayerische Landesregierung unter Markus Söder (CSU) etwa verfügt nicht über einen eigenen Europa-Minister. In der Münchener Landesverwaltung sind EU-Themen in Bayern jedoch genauso stark vertreten wie etwa in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Obwohl Mecklenburg-Vorpommern und Bremen jeweils einen Minister beziehungsweise Senator für Europa haben, wird die Europa-Politik in den dortigen Landesverwaltungen eher kleingeschrieben.

Wo Europa großgeschrieben wird

In Baden-Württemberg und den anderen Ländern, in denen Europa großgeschrieben wird, gibt es in jedem Ministerium Referate mit ausdrücklichem Bezug zur Europa-Politik. Gerade im Südwesten sind auch im Staatsministerium geballt EU-Kompetenzen aufgebaut worden. So gibt es dort ein Spiegelreferat Europa, ein weiteres Referat beschäftigt sich unter anderem mit der EU-Strategie Donauraum/Alpenraum und mit Frankreich. Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) etwa verfügt über zwei Stabsstellen für die Koordinierung und Revision von EU-Maßnahmen. Diese starke Präsenz ist damit zu erklären, dass die gesamte Agrarpolitik „vergemeinschaftet“, also von Europa gesteuert ist.

Wo Lücken klaffen

In Bayern, mit dem sich Baden-Württemberg traditionell misst, gibt es zwar keinen Europa-Minister. Dafür ist der Staatsminister in der Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU), auch für Europaangelegenheiten zuständig. Alle Ministerien in Bayern haben eigene Referate mit Bezug zur Europa-Politik, sogar das Ministerium für Gesundheit und Pflege, wobei die Kompetenzen der EU in diesem Bereich nicht ausgeprägt sind.

Dafür gibt es etliche Landesregierungen, in denen in den Organigrammen europapolitisch Lücken klaffen. Dies ist im sächsischen Finanzministerium der Fall. Ebenso taucht im Organigramm der Berliner Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Europapolitik nicht auf. Gleiches gilt in Schleswig-Holstein für die Ministerien Finanzen, Bildung, Umwelt sowie Soziales. In Bremen taucht nur in den beiden Senatsressorts Finanzen sowie Wirtschaft Europa in den Organisationsbildern auf.