Die umstrittene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verstößt einem Gerichtsgutachten zufolge gegen europäisches Recht. Foto: dpa-Zentralbild

Unverzichtbares Instrument im Anti-Terror-Kampf oder unzulässiger Eingriff in die Grundrechte? Die Vorratsdatenspeicherung ist seit jeher umstritten – auch in Deutschland.

Unverzichtbares Instrument im Anti-Terror-Kampf oder unzulässiger Eingriff in die Grundrechte? Die Vorratsdatenspeicherung ist seit jeher umstritten – auch in Deutschland.

Brüssel - Die umstrittene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verstößt einem Gerichtsgutachten zufolge gegen europäisches Recht. Die Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten der Bürger ohne konkreten Anlass sei „in vollem Umfang unvereinbar“ mit der EU-Charta der Grundrechte. Die Richtlinie soll Ermittlern bei der Aufklärung schwerer Verbrechen helfen.

Die Bewertung sticht in Deutschland mitten in eine heftige Debatte. Sowohl Kritiker wie auch Befürworter sahen sich in ihrer Position bestätigt: Die Union will das Instrument in einer modifizierten Form wiedereinführen, während aus der SPD auch kritische Stimmen laut wurden. Datenschützer, Opposition und Netzaktivisten forderten eine Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung.

Die Bilanz, die Generalanwalt Pedro Cruz Villalón in einem Rechtsgutachten für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezogen hat, gilt als Entscheidungsgrundlage in zwei Verfahren, die ein irisches Unternehmen, die Kärntner Landesregierung sowie mehrere Tausend Österreicher angestrengt hatten. Die Meinung des Generalanwalts ist für den Gerichtshof zwar nicht bindend, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle folgen die urteilenden Juristen aber seinen Empfehlungen.

Diese hätten in der Tat kaum vernichtender ausfallen können. Das EU-Gesetz von 2006 verletze die Grundrechte auf Datenschutz und Achtung des Privatlebens, so Villalón. Die geplante Speicherdauer für alle Daten aus dem Telefon- und Internetverkehr sei mit zwei Jahren zu lang. Es sei nicht sichergestellt, dass die Aufbewahrung der Daten den „Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten achtet“, wie sie in der EU-Charta der Grundrechte niedergeschrieben wurden. Die Einschränkung dieser Rechte sei darüber hinaus unverhältnismäßig lang. „Es besteht ein erhöhtes Risiko, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten zu rechtswidrigen, potenziell die Privatsphäre verletzenden oder – allgemeiner – zu betrügerischen oder gar heimtückischen Zwecken verwendet werden.“ Schließlich seien es Privatfirmen, die die Daten vorhalten müssten, diese stünden somit nicht unter staatlicher Kontrolle.

Dennoch empfahl Villalón nicht die sofortige Aussetzung der gesamten Richtlinie, sondern forderte das Gericht auf, dem europäischen Gesetzgeber genügend Zeit zur Beseitigung der Defizite zu geben.

Der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Andy Neumann, reagierte entsetzt: „Europa macht sich aus lauter Angst vor staatlichen Institutionen zum Schlaraffenland für Kriminelle.“ Der Datenschutzexperte der Grünen im Europäischen Parlament, Jan Philipp Albrecht, nannte das Gutachten dagegen einen „Befreiungsschlag für die Bürgerrechte in Europa“. 2010 kippte das Bundesverfassungsgericht ein erstes deutsches Gesetz von 2008. Seither gab es keinen neuen Anlauf, weil sich die christlich-liberale Bundesregierung nicht auf eine Linie verständigen konnte. Die Brüsseler Kommission verklagte die Bundesrepublik deshalb bereits vor dem EuGH wegen Nichtumsetzung eines EU-Gesetzes und drohte mit einem Zwangsgeld von 315.000 Euro pro Tag. Das Verfahren läuft noch.