Diese Ryanair-Maschine musste auf dem Weg nach Vilnius in Minsk zwischenlanden. Foto: dpa/Uncredited

Die Staats- und Regierungschefs der EU verurteilen die Festnahme des Regimekritikers Roman Protassewitsch. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel beschlossen sie Wirtschaftssanktionen.

Stuttgart - Nach der erzwungenen Zwischenlandung einer Ryanair-Maschine in Minsk und der rechtswidrigen Festnahme des regimekritischen Bloggers Roman Protassewitsch durch die Sicherheitsbehörden verhängt die EU neue Sanktionen gegen Belarus. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung das Vorgehen der Behörden in Belarus und forderten die sofortige Freilassung des Journalisten und seiner Partnerin Sofja Sapega. Sie forderten die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO auf, „dringend diesen beispiellosen und inakzeptablen Vorgang zu untersuchen“.

EU-Fluglinien sollen Überflüge von Belarus vermeiden

Bei ihrem ersten physischen Zusammentreffen seit Dezember forderten die Staats- und Regierungschefs die Außenminister auf, gegen weitere Helfer des Regimes des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko persönliche Sanktionen zu verhängen. Die Außenminister der 27 Mitgliedsstaaten sollen die weiteren Wirtschaftssanktionen gegen Belarus auf den Weg bringen. Fluglinien, die ihren Sitz in der EU haben, sollen Überflüge von Belarus vermeiden. Flugzeugen von Belarus-Linien soll der Überflug von EU-Territorium sowie die Landung auf EU-Flughäfen verwehrt werden.

Die EU hatte schon wegen der Fälschung der Wahlen Sanktionen verhängt

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei ihrer Ankunft in Brüssel das „beispiellose Vorgehen der belarussischen Autoritäten“ mit scharfen Worten gerügt und die wenig später beschlossenen Maßnahmen skizziert. Der ständige EU-Ratspräsident Charles Michel hatte zuvor die Erklärung vorbereitet. Michel sagte: „Was passiert ist, ist ein internationaler Skandal.“ Schon zuvor hatte die EU wegen der Fälschung der Wahlen im vergangenen Jahr und wegen der Unterdrückung der belarussischen Opposition Einreiseverbote gegen 88 Personen in die EU verhängt. Ihre Bankkonten wurden eingefroren, ebenso die Konten von sieben Organisationen, die eine Verbindung zum Diktator Alexander Lukaschenko haben.

Die EU will das Verhältnis zu Russland neu justieren

Die Staats- und Regierungschefs haben danach eine „strategische Debatte“ zu Russland geführt. Die Aussprache, die Auftakt für eine Neujustierung des Verhältnisses zwischen der EU und Moskau sein soll, war bereits länger geplant. Sie bekam nun besondere Aktualität, weil Russland den gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr zumindest gebilligt haben dürfte. Beobachter mutmaßen, dass mindestens vier russische Geheimdienstmitarbeiter unmittelbar an der Operation an Bord des Flugzeuges beteiligt waren. Im Entwurf der Gipfelbeschlüsse, die unserer Zeitung vorliegen, heißt es: „Der Gipfel verurteilt die illegalen und provozierenden Aktivitäten Russlands gegen die EU, ihre Mitgliedstaaten und darüber hinaus.“ Am Ende dürfte die Erklärung deutlich schärfer ausfallen. Der Entwurf stammt von einem Zeitpunkt, als der Vorfall noch nicht eingearbeitet worden war.