Beim EU-Gipfel in Brüssel wird darüber diskutiert, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. Zur selben Zeit eröffnet Italien in Albanien die ersten Abschiebezentren.
Der Stargast in Brüssel heißt Giorgia Meloni. Beim EU-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag wird die italienische Premierministerin über die Erfahrungen mit einem Abschiebezentrum außerhalb der EU berichten können. Als erstes Land der Europäischen Union hat Italien am Mittwoch Migranten nach Albanien gebracht, die auf dem Mittelmeer von der Marine abgefangen worden waren. Dort sollen italienische Beamte im Schnellverfahren deren Asylanträge prüfen und darüber entscheiden. Falls der Antrag abgelehnt wird, sollen sie auch von Albanien aus wieder abgeschoben werden. Weiter nach Italien dürfen sie nur, wenn ihnen Asyl gewährt wird.
Zehn-Punkte-Plan zur Migration
Das Interesse an dem Projekt ist auch bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerst groß. Sie unterstrich vor dem Gipfel, dass man aus dem Italien-Albanien-Modell durchaus praktische Lehren ziehen könne. Im Vorfeld des Treffens steckte sie schon einmal in einem Zehn-Punkte-Papier die Position der Kommission ab. Deutlich wird darin, dass auch Brüssel daran arbeitet, das Asylrecht zu verschärfen, die Zahl der ankommenden Migranten zu senken und abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben.
Neben dem möglichen Aufbau von Zentren außerhalb der EU, soll auch die Rückführung abgelehnter Asylbewerber „wirksam gestrafft“ werden. Dazu zählt etwa, dass EU-Staaten die Abschiebe-Entscheidungen der jeweils anderen Mitglieder anerkennen. So soll sichergestellt werden, dass „Migranten, gegen die in einem Land eine Rückführungsentscheidung ergangen ist, keine Lücken im System ausnutzen können, um eine Rückführung in einem anderen Land zu vermeiden“, heißt es in dem Papier.
Werben für „innovative Lösungen“
Ursula von der Leyen fordert für die Zukunft auch „innovative Lösungen“, gemeint ist die Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Dieser Punkt wird bereits in der im Mai verabschiedeten Reform der EU-Asylgesetzgebung (Geas) angeführt, wurde aber bewusst im Vagen gehalten. Das sollte die Kritiker zur Zustimmung bewegen, wie etwa die deutsche Bundesregierung. Nun kündigt die Kommissionschefin an, im kommenden Jahr „das Konzept der designierten sicheren Drittstaaten zu überprüfen“, ohne allerdings konkreter zu werden. Im ursprünglichen Reformpapier steht, dass Asylanträge nur dann abgewiesen und Menschen zurückgebracht werden können, wenn sie eine „sinnvolle Verbindung“ zu dem Land aufweisen, also etwa einen längeren Aufenthalt oder familiäre Beziehungen. Da dieser Passus allerdings umstritten war, wurde eine Revisionsklausel eingefügt, die von der EU-Kommission nun offenbar genutzt werden soll.
Inzwischen ist es wahrscheinlich, dass sich auf dem EU-Gipfel in Brüssel eine Mehrheit der EU-Staaten findet, um diesen Absatz im ursprünglichen Reformtext zu verschärfen. Denn seit dem letzten Treffen im Sommer hat sich in einigen Staaten die Haltung in Sachen Migration verändert. In Finnland werden Asylsuchende an der Grenze zu Russland abgewiesen, Polen will das Asylrecht aussetzen und die neue Regierung in Frankreich kündigt eine härtere Gangart an. Selbst das immer sehr skeptische Deutschland hat jüngst Grenzkontrollen eingeführt und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnet die geplante Vereinbarung über die Abwicklung von Asylverfahren in Drittstaaten als „interessantes Modell“.
Schwierige Kooperation mit Drittstaaten
Mit ihrem Zehn-Punkte-Papier reagiert Ursula von der Leyen auf eine offensichtliche Entwicklung und zeigt einmal mehr, wie wandlungsfähig die CDU-Politikerin im Kampf um die eigene Macht ist. Im Frühjahr hatte sie noch mit der Idee gefremdelt, Kooperationen mit Drittstaaten einzugehen, um etwa Asylverfahren auszulagern. Damals kam die Idee aus der eigenen Partei und der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, die sogar Ruanda als mögliches Partnerland ins Gespräch brachten. Nun stellt sich Ursula von der Leyen etwas überraschend mit ihrem Papier an die Spitze der Staatengruppe, die an der Verschärfung des Asylrechts arbeitet.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass die Politikerin eigene Überzeugungen über Bord wirft, wenn sich die Mehrheiten verändern. Geradezu atemberaubend zeigte sie diese Anpassungsfähigkeit beim Green Deal. Vor fünf Jahren war es ihr zentrales Ziel, Europa zu einem klimaneutralen Kontinent umzugestalten. Ein Vorhaben, das sie mit der Mondlandung verglich. Im Kampf um eine zweite Amtszeit war davon allerdings nur noch wenig zu hören. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der heraufziehenden Wirtschaftskrise erklärte sie, dass der Umweltschutz in Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung untergeordnet werden müsse. Im selben Atemzug räumte sie auch einige zentrale Ziele des Green Deals ab. Angesichts der zum Teil gewalttätigen Bauernproteste in ganz Europa Anfang des Jahres, wurden Regeln zum Schutz der Umwelt von der EU-Kommission kurzerhand wieder eingesackt.
Ursula von der Leyens Machtinstinkt
Ursula von der Leyen konnte auch bei dieser politischen Wende ihrem Machtinstinkt vertrauen. Angesichts ihrer Zugeständnisse in Sachen Umweltschutz wurde die deutsche CDU-Politikerin im ersten Schritt von der Fraktion der Europäischen Volkspartei zur Spitzenkandidatin gekürt. Dann gewann sie die Europawahl im Mai für die Konservativen mit großer Mehrheit und wurde darauf erneut als EU-Kommissionspräsidentin bestätigt. Beißende Kritik an ihrem politischen Schlingerkurs kam zuerst aus dem Lager der Umweltschützer und im Fall der Verschärfung des Asylrechts von Menschenrechtlern, der Applaus der meisten EU-Regierungen ist der mächtigsten Frau Europas aber gewiss.