Keinen Rückwind bekommt die neue EU-Kommissionspräsidentin bei ihrem ersten Gipfel. Foto: dpa/Virginia Mayo

Polen steht als einziges Land auf der Bremse. Von der Leyens grüner Deal droht an den Finanzen zu scheitern. Wenn es so bleibt, haben die über 60 Gesetzgebungsvorschläge, die die EU-Kommission zum Umbau der Volkswirtschaft plant, keinen Rückhalt.

Brüssel - Der Durchbruch, den die Spitzen der EU nach der Gipfelnacht bejubeln, ist das nicht. Es konnten sich eben nicht alle EU-Mitgliedstaaten auf das Ziel einigen, Europas Volkswirtschaft bis zum Jahr 2050 zur Klimaneutralität umzubauen. Ein Land, ein großes Land, nämlich Polen, ist nicht dabei bei diesem Klimakompromiss. Wenn das so bleibt und die Polen nicht noch zu überzeugen oder mit Zusagen von Geld oder anderen Zugeständnissen umzustimmen sind, hat das weitreichende Folgen. Der grüne Deal von Ursula von der Leyen droht an den Finanzen zu scheitern. Der 1000 Milliarden schwere Haushaltsrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 muss nämlich auch einstimmig beschlossen werden. Und wenn Polen auch da ausschert und das Geld für den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft blockiert, ist das zentrale Vorhaben der deutschen Kommissionspräsidentin Makulatur.

Kriegt Polen noch die Kurve?

Eine „Mann-auf-dem-Mars-Mission“ hatte Ursula von der Leyen nur wenige Stunden vor dem Gipfel mit viel Pathos ausgerufen. Man kann nicht sagen, dass diese mit einem Crash vor der ersten Laterne geendet ist. Sie hat aber bereits einen massiven Dämpfer erlitten. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Regierung in Warschau noch die Kurve kriegt. Wenn sie nicht noch einlenkt, so wäre die Handlungsfähigkeit von der Leyens auf einem weiteren wichtigen Politikfeld gelähmt. Seit Jahren ist die EU in der Flüchtlingspolitik blockiert, weil einige Osteuropäer sich der Solidarität bei der Aufnahme von Bürgerkriegsopfern verweigern, bei der Frage der Wahrung der rechtsstaatlichen Werte wie Unabhängigkeit der Justiz machen ebenfalls einige Osteuropäer erhebliche Probleme. Und jetzt kommt womöglich noch die Klima- und Umweltpolitik, der dringend notwendige Umbauprozess der Volkswirtschaften auf Nachhaltigkeit, hinzu. Ursula von der Leyen könnte deutlich mehr Rückenwind bei ihrem Start ins Amt gebrauchen.

Auch der neue Ratspräsident ist beschädigt

Beschädigt ist nicht nur von der Leyen. Auch der neue EU-Ratspräsident Charles Michel steht begossen da. Er hat sich nach seiner Wahl als der große Brückenbauer zwischen den Staats- und Regierungschefs bezeichnet. Gleich beim ersten Gipfel war er mit seinem Latein am Ende. Die Lösung, die er gefunden hat, um sein Gesicht zu wahren, ist peinlich: Gipfelbeschlüsse in der EU werden eben nicht mit Mehrheiten gefasst, es muss Einstimmigkeit her. Und wenn die Einstimmigkeit nicht gegeben ist, kann man nicht so tun, indem der Gipfel erst etwas in den Schlussfolgerungen beschließt und im folgenden Satz wieder aufzuheben. Das ist kein Zeugnis von „Kreativität“, der sich Michel anschließend gerühmt hat. Diese Form politischer Kosmetik fällt der EU wieder auf die Füße. Spätestens nämlich, wenn es darum geht, Gesetzesvorhaben für den grünen Deal durchzubekommen und die Finanzierung dafür zu sichern.

Wobei man zugeben muss: Es lag bei diesem Gipfel vor Weihnachten schon sehr viel auf dem Verhandlungstisch des Rates, da die Klimaneutralität im Jahr 2050 unmittelbar mit den Finanzfragen verknüpft ist. Der radikale Umbau des Wirtschaftens und Lebens und die EU-Finanzen im nächsten Jahrzehnt – das sind zwei dicke Brocken, die an einem Gipfelabend schwer aus dem Weg zu räumen waren.