Der Brexit erweist sich als ein harter Brocken für Großbritannien. Foto: AP

Das britische Parlament hat den Brexit-Deal von Premierministerin May klar abgelehnt. Alles Wichtige über die historische Niederlage – und mögliche Szenarien für die Zukunft.

Brüssel/London - Das britische Unterhaus hat das Brexit-Abkommen mit der EU klar abgelehnt. Wie es weitergeht, ist unklar. Premierministerin Theresa May muss sich am Mittwochabend einem Misstrauensvotum stellen. Abhängig vom Ausgang sind im britischen Brexit-Wirrwarr viele Szenarien möglich:

UNTERHAUS STIMMT ERNEUT ÜBER BREXIT-VERTRAG

Ob May stürzt oder nicht: Die britische Regierung hindert nichts daran, den Austrittsvertrag erneut zur Abstimmung zu stellen. Sie bräuchte dafür aber wohl neue Zugeständnisse der EU. Diese lehnt allerdings Nachverhandlungen über den Vertrag selbst ab. Zu ihm gehört auch die von den Brexit-Hardlinern kritisierte Auffanglösung für die Grenze zur britischen Provinz Nordirland. Demnach würde das Vereinigte Königreich ohne andere Vereinbarung in einer Zollunion mit der EU bleiben, was eigene britische Handelsabkommen verhindern würde. Offen ist EU-Unterhändler Michel Barnier für Gespräche über die Erklärung zu den künftigen Beziehungen, wenn London seine „roten Linien“ aufgibt. Denn May habe bisher nur ein „einfaches Freihandelsabkommen“ gewollt, sagte er. Die EU sei „sofort“ bereit, über weitergehende Pläne zu reden. Brexit-Befürworter sind damit kaum zu gewinnen, womöglich aber Stimmen aus dem pro-europäischen Lager der oppositionellen Labour-Partei.

„HALBE“ MITGLIEDSCHAFT NACH DEM NORWEGEN-MODELL

Pro-europäische britische Politiker liebäugeln schon länger mit der „Norwegen-Option“, die eine Art „halbe“ EU-Mitgliedschaft ermöglichen würde. Großbritannien bliebe dabei im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und im EU-Binnenmarkt. Dann müssten die Brexit-Befürworter aber auf ihre Forderung verzichten, die Arbeits- und Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger zu beschränken. Zudem müsste Großbritannien weiter EU-Mitgliedsbeiträge zahlen, hätte aber kein Stimmrecht mehr bei Entscheidungen zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes.

ZWEITES BREXIT-REFERENDUM

In Großbritannien gibt es quer durch die Parteien Rufe nach einem zweiten Referendum, das auch den Verbleib in der EU ermöglichen könnte. Die Zeit ist allerdings knapp: Experten schätzen den nötigen Vorlauf auf fünf Monate. Ob Großbritannien am Ende in der EU bleiben würde, ist offen, auch wenn Umfragen zuletzt eine knappe Mehrheit für die Austrittsgegner sahen. Anders als viele in seiner Partei zieht Labour-Chef Jeremy Corbyn ein neu ausgehandeltes Brexit-Abkommen einem Referendum vor.

VERSCHIEBUNG DES AUSTRITTSTERMINS

Angesichts der chaotischen Lage in Großbritannien sind Neuwahlen nicht ausgeschlossen, die vor dem Brexit-Datum im März aber nicht mehr organisiert werden können. Um Zeit für einen Urnengang, ein zweites Referendum oder Nachverhandlungen zu schaffen, wäre die Verschiebung des Austrittstermins möglich. Dem müssten die anderen EU-Staaten einstimmig zustimmen. Viel Spielraum ist allerdings nicht, denn schon Ende Mai finden Wahlen zum Europaparlament statt, an denen Großbritannien bisher nicht teilnehmen sollte.

RÜCKNAHME DER AUSTRITTSERKLÄRUNG

Für London besteht bis zum Austrittsdatum auch die Möglichkeit, den Brexit-Antrag ohne Zustimmung der EU einseitig zurückzunehmen. Dies bestätigte der Europäische Gerichtshof im Dezember. May warnt aber vor „katastrophalen“ Folgen für die britische Demokratie, wenn das Ergebnis des Brexit-Referendums von 2016 missachtet würde.

BREXIT OHNE ABKOMMEN

Bekommt die britische Regierung den Brexit-Vertrag trotz aller Versuche nicht durchs Parlament und zieht nicht die Austrittsnotbremse, droht ein chaotischer Austritt ohne Abkommen. Beziehungen aus 45 Jahren EU-Mitgliedschaft würden schlagartig gekappt. Sollte es so weit kommen, könnten beide Seiten lediglich Notvereinbarungen schließen. „Einige Regelungen könnten für ein paar Monate verlängert werden“, sagt ein EU-Diplomat. Die EU-Kommission hat dabei insbesondere den Luftverkehr und Aufenthalts- und Visafragen als „vorrangige Bereiche“ identifiziert.