Anti-Brexit-Demonstranten protestieren vor dem britischen Parlament. Foto: AFP

Die Grundsatzeinigung zwischen Brüssel und Großbritannien zur Brexit-Ausgestaltung stößt in Deutschland auf Kritik. Bundes- und Landespolitiker warnen vor unberechenbaren Folgen für die Europäische Union.

Berlin - Die deutsch-britische Handelskammer begrüßt das grundsätzliche Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien. „Kein Abkommen abzuschließen birgt noch mehr Risiken – es ist wahrscheinlich das beste Abkommen, welches unter den derzeitigen Rahmenbedingungen möglich ist“, sagte Ulrich Hoppe, Hauptgeschäftsführer der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer unserer Zeitung. Er warnte aber auch davor, dass selbst bei einem geordneten Brexit auf die Unternehmen nun höhere Kosten zukommen würden. „Dies gilt nicht nur bezogen auf mögliche Zölle, sondern vor allen Dingen bezogen auf deutlich höhere administrative Aufwendungen“, so Hoppe, etwa Kosten für die Grenzabfertigung oder Arbeitsgenehmigungen. Diese müssten entweder Firmen oder Konsumenten tragen, so Hoppe.

Die britische Regierung entscheidet am Mittwochnachmittag über den umstrittenen Entwurf des Brexit-Abkommens. Die Nerven liegen blank. Denn es geht nicht nur um den Austritt aus der Europäischen Union, sondern auch um das Schicksal der Regierung und von Premierministerin Theresa May. Am Mittwoch bestätigte auch die EU-Kommission, dass sich die Brexit-Unterhändler auf „die Elemente“ eines Austrittsabkommens geeinigt haben.

Fraktionsübergreifende Kritik

Fabio De Masi, Linken-Fraktionsvize, kritisierte, dass wichtige Themen nicht angeschnitten worden seien. „Die Briten bleiben in der Zollunion und unbequeme Fragen sind vertagt worden“, kritisiert De Masi, der auch stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe ist. „Bei einer Ehe mag solch eine Scheidung auf Raten funktionieren – aber ein Binnenmarkt braucht klare Regeln. Die Briten werden jetzt weniger empfänglich sein für Druck. Denn sie bleiben ja weiter in der Zollunion bis ein Vertrag über die zukünftigen Beziehungen steht“ – Wichtige Fragen würden unbeantwortet bleiben. Etwa: „Was machen wir, wenn die Briten wie angedroht ihre Steuersätze für Konzerne weiter nach unten schrauben?“ Den Deal bezeichnet De Masi „als eine künstliche Beatmung von Frau May, um Neuwahlen und eine Labour Regierung zu verhindern.“

Doch „wesentlich größer sind jedoch die Gefahren, die es im Falle eines No-Deal-Szenarios zu bewältigen gäbe. Daher ist es, sowohl für Großbritannien als auch für die Europäische Union weiterhin wichtig, an einem Abkommen festzuhalten“, sagte der Esslinger CDU-Außenpolitikexperte Andreas Deuschle unserer Zeitung. Der SPD-Europaexperte Axel Schäfer spricht von einer „Grenzsituation, auch weil wir zum ersten Mal mit einer Austrittsfrage konfrontiert sind“. Eine Lösung, die beiden Seiten voll gerecht werde, gebe es nicht, sagte Schäfer gegenüber unserer Zeitung.

May, die von einem Endspiel spricht, hatte ihren Kabinettsmitgliedern am Dienstagabend einen kurzen Einblick in das etwa 500 Seiten starke Brexit-Dokument gewährt. Vor allem die Passage zu der Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden sollen, dürfte dabei im Fokus gestanden haben. Die EU besteht auf einer Garantie, dass es keine Kontrollen auf der irischen Insel geben wird. Der sogenannte Backstop stößt aber auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei und der DUP.

Das Abkommen droht zu scheitern

Medienberichten zufolge sieht der Plan vor, dass ganz Großbritannien im Notfall in der Europäischen Zollunion bleiben soll. Für Nordirland sollen demnach aber „tiefergehende“ Bestimmungen gelten. FDP-Europaexperte Alexander von Lambsdorff warnte gegenüber unserer Zeitung: „Zwischen Nordirland und Irland darf es keine feste Grenze geben. Mit einer harten Grenze besteht das Risiko, dass es wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen wie in den 1970er-Jahren kommt. Großbritannien und die EU dürfen nicht zulassen, dass der Brexit Frieden und Stabilität auf der irischen Insel gefährdet.“

Der nun gefundene Kompromiss dürfte im Parlament in London nicht leicht durchzusetzen sein. Die Brexit-Hardliner bei den Konservativen fordern, dass der Backstop nur für eine begrenzte Zeit gelten darf. Die DUP sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Beide drohen damit, das Abkommen durchfallen zu lassen. Ob die Regierung eine Mehrheit erreichen kann, scheint zweifelhaft. May regiert nur mit hauchdünner Mehrheit und ist auf die nordirische DUP angewiesen. Auf Unterstützung aus der Opposition darf sie kaum hoffen.

Warnung vor Risiken für die EU

Aus Sicht der Grünen birgt das sich abzeichnende Brexit-Abkommen große Risiken für das reibungslose Funktionieren des EU-Binnenmarkts. Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner warnte, das Abkommen berge hohe Risiken für die EU und es würden noch viele Fragezeichen bestehen. Die Irland-Problematik habe man jetzt gelöst, indem Großbritannien weiter in der Zollunion bleibe und damit die Grenze in Nordirland offen. „Das heißt: Die Briten haben über Nordirland vollen Zugang zum Binnenmarkt sind aber offiziell nur in der Zollunion, also ohne alle Standards und Regeln des Binnenmarkts“, sagte Brantner unserer Zeitung. „Damit das nicht zum Standarddumping führt, hat man hunderte Gesetze ins Austrittsabkommen aufgenommen, an die sich die Briten auch zukünftig noch halten müssen.“ Dieses Szenario solle „Theresa May helfen, das Abkommen im britischen Parlament durchzubringen, birgt aber viel Unklarheit und Risiko für die EU“.