Ein Bild der Armut von der Elfenbeinküste: Frauen tragen in Abidjan recyclingfähige Materialien, die sie auf einer Deponie gesammelt haben. Foto: dpa

An diesem Mittwoch beginnt der Gipfel von Afrikanischer und Europäischer Union in der Elfenbeinküste. Im Vordergrund steht die Migrationskrise. Dabei hätten die Vertreter viel mehr zu bereden, würden sie sich wirklich als Partner begegnen.

Abidjan - Ihrem Namen nach sind sie Geschwister, doch damit endet die Brüderlichkeit auch schon. Wenn sich die Repräsentanten der Afrikanischen und Europäischen Union an diesem Mittwoch und Donnerstag in der ivorischen Hauptstadt Abidjan zu ihrem 5. Gipfeltreffen versammeln, wird zwar wieder einmal der Geist „partnerschaftlicher Beziehungen auf Augenhöhe“ heraufbeschworen. Doch jeder weiß, dass es sich dabei nur um eine diplomatische Floskel handelt.

Für viele Afrikaner sei die EU ein „bevormundender Geldautomat“, der zunächst eine zehnminütige Predigt halte, bevor er endlich die Scheine ausspucke, schreibt die Brüsseler International Crisis Group (ICG) in ihrer Handreichung zum Gipfel. Wohingegen die Europäer ihr afrikanisches Pendant als bloße Quasselbude betrachteten. Das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarn sei „viel zu emotional“, stellten die Experten der Krisengruppe bei ihren Recherchen fest: Ihre Gesprächspartner hätten eher wie „verärgerte Familienmitglieder“ denn als „sachliche Beamte“ gewirkt.

Auf Seiten der AU wirkt sich laut ICG-Einschätzung noch immer der Anfang dieses Jahres zu Ende gegangene Kommissionsvorsitz der Südafrikanerin Nkosazana Dlamini Zuma aus. Sie habe die transkontinentalen Beziehungen mit der am Kap der Guten Hoffnung vorherrschenden antikolonialistischen Rhetorik belastet, heißt es. Seit der aus dem Tschad stammende Moussa Faki Vorsitzender der AU-Kommission ist, sollen sich die Wogen etwas geglättet haben. Doch schönes Wetter herrscht deshalb noch lange nicht. Dafür ist nicht zuletzt die Migrationskrise verantwortlich, die – auch wenn der Gipfel offiziell der „Jugend“ gewidmet ist – bei den Beratungen in Abidjan im Vordergrund stehen wird. Die Afrikaner werfen den Europäern vor, die Wanderbewegungen lediglich als „Gefahr“ wahrzunehmen und ihre Anstrengungen auf die Blockade der Reiserouten zu konzentrieren. Dagegen kommt es den Afrikanern darauf an, den Ursachen der Abwanderungswelle durch die Unterstützung vernachlässigter Regionen zu begegnen und gleichzeitig mehr Bewohnern des Kontinents legale Aufenthalte in Europa zu ermöglichen. Eine geregelte Migration komme beiden Seiten zugute, heißt es im Süden. Europas überalterte Staaten erhielten Arbeitskräfte, während Afrikanern eine Chance zum Geldverdienen und zur Erweiterung ihrer Qualifikationen eingeräumt werde.

Jährlich überweisen Afrikaner aus dem Ausland 27 Milliarden Euro nach Hause

Weite Teile Afrikas sind ohne die Überweisungen der Migranten auch gar nicht überlebensfähig. Jährlich fließen mehr als 27 Milliarden Euro an Remissionen in den Süden, weit mehr als Entwicklungshilfe. Auch wenn der schnöde Mammon beim Gipfel nicht laut angesprochen wird: Er ist neben den Migranten das Hauptthema des nur alle drei Jahre stattfindenden Treffens. Die EU ist der mit Abstand größte Geldgeber Afrikas – sowohl was Entwicklungshilfe, die Unterstützung von Friedenseinsätzen und selbst die Finanzierung der Afrikanischen Union angeht. Dass sie nicht einmal für ihre eigene Organisation aufkommen können, ist den hiesigen Regierungen natürlich peinlich. Ein Reformvorschlag des ruandischen Präsidenten Paul Kagame sieht deshalb einen kontinentalen Zollzuschlag zur Deckung des AU-Budgets vor. Ob das tatsächlich funktioniert, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen.

Noch heikler ist die Finanzierung von Friedensmissionen, welche die EU mit monatlich 20 Millionen Euro unterstützt. Im vergangenen Jahr kam es zum Krach, als Brüssel plötzlich seine Zuwendungen für die Afrikanische Friedensmission in Somalia (Amisom) einstellen wollte: Nach fast zehn Jahren – und ohne absehbares Ende – war die EU offenbar müde geworden. Ein Kollaps der Mission hätte für die gesamte Region am Horn von Afrika allerdings verhängnisvolle Folgen gehabt. Und am Aufkommen des islamistischen Extremismus in Afrika ist Europa als Vertreter des „Westens“ keineswegs unbeteiligt. Weite Teile des Kontinents – neben dem Horn von Afrika auch die Sahelzone – sind für Brüssel vor allem unter dem Gesichtspunkt des „Kampfs gegen den Terror“ interessant. Und auch in diesem trauen die Europäer der AU nichts zu. In Westafrika unterstützt die EU die von Mauretanien, Mali, dem Niger, Tschad und Burkina Faso eingerichtete Eingreiftruppe „G-5 Sahel“. Sie wurde auf Wunsch der Europäer jedoch außerhalb der Strukturen der AU etabliert, weil deren Zentrale nur als Bremse betrachtet wird.

Experten der EU sagen, Augenhöhe sei ein unsinniger Anspruch

Sich unter den gegebenen Umständen – die Wirtschaftskraft der 28 EU-Staaten ist fast acht Mal größer als die der 55 AU-Nationen – auf Augenhöhe begegnen zu wollen, sei ein unsinniger Anspruch, argumentieren die Brüsseler Krisenexperten. Stattdessen solle man lieber über gemeinsame langfristige Perspektiven reden. Doch auch dabei hapert es noch immer gewaltig, wie die Debatte um die unseligen Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPA) zeigt. Die waren nötig geworden, nachdem die Welthandelsorganisation WTO das Cotonou-Abkommen zwischen der EU und 79 Entwicklungsstaaten aus dem Jahr 2000 als mit dem Freihandel unvereinbar zurückgewiesen hatte.

Die Vereinbarung räumt den Entwicklungsländern zollfreien Zugang zu europäischen Märkten ein, ohne dass diese selbst ihre Märkte öffnen müssen. Die nun mit jedem Staat einzeln auszuhandelnden EPA, die das allmähliche Auslaufen von Schutzzöllen vorsehen, stießen in Afrika auf heftige Kritik. Auf diese Weise könnten Entwicklungsstaaten weder ihre labile Landwirtschaft schützen noch die Industrialisierung antreiben, heißt es mit guten Gründen. Nach jahrelangem Tauziehen wurden bislang lediglich in der Karibik und im südlichen Afrika EPAs unterzeichnet: Zwei Jahre vor dem Auslaufen des Cotonou-Abkommens bahnt sich damit ein Handelschaos an. Es gibt also eigentlich genug Themen, um die Repräsentanten der beiden Staatenbünde nicht nur die kommenden zwei Tage sondern zwei Jahrzehnte lang auf Trab zu halten. Alles, was nicht passiert, wird sich früher oder später in Flüchtlingszahlen niederschlagen.