Einen Kompass, im moralischen Sinne, sollten Lehrer ihren Schülern an die Hand geben können. Foto: AdobeStock

Von Lehrern wird moralische Orientierungshilfe erwartet. Aber ihr verpflichtendes ethisch-philosophisches Grundlagenstudium ist gestrichen. Wissenschaftler fordern, dass der Beschluss rückgängig gemacht wird.

Stuttgart - Künftige Lehrer steuern auf ein Dilemma zu, beklagt Uta Müller vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen. Ethische Fragen würden in der Gesellschaft immer wichtiger und damit auch die Werteerziehung an den Schulen. Doch in der Lehrerausbildung komme die Auseinandersetzung mit moralischen Fragen in Zukunft zu kurz, sagte die Wissenschaftlerin unserer Zeitung.

Ethikausbildungsbeauftragte der Studienseminare und der Universitäten im Land befürchten, dass Hochschulabsolventen bald gänzlich ohne Ethikkenntnisse ihr Referendariat antreten könnten. Die Experten ärgert, dass das ethisch-philosophische Grundlagenstudium (EPG) für angehende Gymnasiallehrer abgeschafft worden ist.

Zentrale Bedeutung der Werteerziehung

2001 hatte die damalige CDU-Kultusministerin Annette Schavan den Studenten zwei Pflichtveranstaltungen verordnet, in denen Grundlagen der philosophischen Begründung von Werten und Normen vermittelt wurden. Schavan zufolge galt: „Je pluraler eine Gesellschaft ist, umso mehr brauchen junge Menschen auch Orientierungshilfe.“ Deshalb komme der Werteerziehung in und außerhalb der Schule eine zentrale Bedeutung zu. Inzwischen ist die Heterogenität auch an den Schulen deutlich gestiegen. Doch 2015 hat die Landesregierung bei der Umstellung des Lehramtsstudiums auf die Bachelor-/Masterstrukturdas verpflichtende EPG-Studium gekippt. Die Themen sollen nun in den Bildungswissenschaften abgehandelt werden.

„Gestaltungsfreiraum“ für die Hochschulen

Schon der damalige Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hatte beteuert, dies bedeute keine Abschaffung der Studieninhalte. Vielmehr bekämen die Hochschulen „neuen Gestaltungsfreiraum“. Sie seien jedoch gehalten, ethische und philosophische Grundlagen „in der Lehrerbildung weiterhin zu verorten“. Die amtierende Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) betont ebenfalls, „Werteerziehung und Wertebildung sind gerade für angehende Lehrerinnen und Lehrer von großer Bedeutung und völlig zu Recht nach wie vor obligatorischer Teil der Ausbildung.“ Angesichts einer zunehmend heterogenen Schülerschaft sei es umso wichtiger, dass Werteerziehung und eine vertiefte ethische Grundbildung in der Lehrerausbildung ihren festen Platz hätten.

Experten wollen bundesweites Pflichtstudium

Darauf wollen sich Uta Müller und ihre Kollegen aber nicht verlassen. In den Bildungswissenschaften spiele Ethik keine große Rolle. Die Pädagogik reite „auf der Welle der empirischen Sozialwissenschaften“, wolle mit normativen Fragen wenig zu tun haben. Mit dem Verzicht auf das verpflichtende Grundlagenstudium „wird das kritische Nachdenken abgeschafft“, klagt Müller. „Wir brauchen aber nicht nur Meinungen, sondern Begründungen“. Die Wissenschaftler wollen zurück zum verpflichtenden Grundlagenstudium und fordern sogar, dies bundesweit für alle angehenden Lehrer in den Studienplänen zu verankern. „In allen Fächern stellt sich die Frage, was ist richtig, was ist falsch“, das gelte von Biologie bis Geschichte, betont Müller.

CDU-Abgeordnete hofft auf Fortbildungen

Einen gewissen Handlungsbedarf sieht auch die CDU-Abgeordnete Sabine Kurtz. Die wissenschaftspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion verweist darauf, dass die Bildungswissenschaften im Lehramtsstudium „sehr gestärkt“ worden seien und in diesem Rahmen auch ethische Fragen erarbeitet werden. „Natürlich ist das viel zu wenig im Vergleich zum ethisch-philosophischen Grundlagenstudium“, sagt Kurtz. Sie erwartet, dass das Thema Ethik in der Referendarsausbildung an den Lehrerseminaren und über Fortbildungen vertieft wird.