Erfüllen Ethik-Kommissionen im Sport lediglich eine Alibi-Funktion? Foto: dpa

Herbe Kritik an den internationalen Sport-Organisationen vom Tübinger Sportwissenschaftler Helmut Digel: Die Ethik-Kommissionen seien nur Alibis, schreibt unser Kolumnist, und ungeeignet, um Finanztransfers, Vergabe-Praktiken und Wahlen in hohe Ämter einer öffentlichen Kontrolle zu unterziehen.

Stuttgart - In der Wirtschaft sind wirksame, bisweilen sogar zertifizierte Compliance-Management-Systeme (CMS) mittlerweile an der Tagesordnung. Die Sportorganisationen sind von solchen Anti-Korruptions-Strukturen weit entfernt. Obwohl der Verdacht der Bestechlichkeit und Wahlmanipulation, intransparente Haushaltsführung und merkwürdige Vergabepraktiken bei Großveranstaltungen immer wieder für Negativ-Schlagzeilen sorgen.

In den Sportorganisationen ist es dagegen üblich, dass sie sich selbst einen Ethik-Kodex erarbeiten und zu dessen Überwachung eine Ethik-Kommission berufen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat das Modell vorgegeben, der Fußball-Weltverband (Fifa) ist diesem Modell gefolgt, andere internationalen Sportverbände sind dabei, ähnlich zu verfahren. Die Ethik scheint lediglich ein juristisches Problem zu sein, und die berufenen Mitglieder der Ethik-Kommissionen sind meistens Juristen. Philosophen, Theologen, Soziologen oder Politologen scheinen nicht erwünscht zu sein.

Die Ethik-Richtlinien werden oft von befreundeten Juristen erarbeitet, die dem Führungsgremium nahestehen. Die Ethik-Kommissionen funktionieren eher sporadisch, ob sich durch ihre Arbeit etwas zum Guten wendet, wird sich noch zeigen. In die Kommission berufen zu werden lohnt sich meist ideell, aber auch materiell.

Wie viel darf's denn sein?

Fragt man, welche Sachverhalte in den internationalen Sportorganisationen in der Vergangenheit unter ethischen und moralischen Aspekten fragwürdig gewesen oder auch heute noch fragwürdig sind, muss in erster Linie über Geldtransfers gesprochen werden, die in den Verbänden in vielfältiger Weise möglich sind.

Wie soll die Arbeit des Präsidenten eines internationalen Sportverbandes honoriert werden? Erhält er ein Gehalt? Wird es gegenüber den Mitgliedern offengelegt? Werden die Leistungen über eine Aufwandsentschädigung beglichen, die möglicherweise die Höhe eines Gehaltes erreicht oder es sogar übertrifft? Wer kontrolliert die Erstattung der Spesen? Wie detailliert wird über die Ausgaben in den Berichten zu den Haushalten Rechenschaft abgelegt? Wie unabhängig ist die Haushaltskontrolle?

Ein zweites Finanzproblem ist bei der Vermarktung der Rechte der Sportverbände zu beobachten. Es ist längst üblich geworden, dass sich die Verbände bei der Vermarktung ihrer Rechte einer Agentur bedienen. Die Bezahlung von Provisionen sind in diesem Geschäft eine Selbstverständlichkeit. Die Gefahr, dass dabei Anteile der Provision zurückfliesen an jene, welche die Rechte den Agenturen überlassen, ist naheliegend.

Es stellt sich aber auch die Frage, ob Funktionäre, wenn sie bei der Vermittlung von Vermarktungsverträgen federführend oder sogar alleinverantwortlich tätig waren, an dieser Vermittlung anteilmäßig beteiligt werden oder ob ihre Arbeit völlig ehrenamtlich sein muss. Bekleiden Funktionäre über mehrere Amtszeiten hinaus führende Positionen des Weltsports, so haben sie in Bezug auf bestimmte Märkte und die Vermarktung von Sponsoren und Medienrechten Kompetenzen und Erfahrungswissen aufzuweisen.

Vermischung beruflicher und privater Interessen

Als Beratungspartner für internationale Agenturen sind sie somit attraktiv. Ist dies erlaubt, oder sollte dies verboten sein? Eine Vermischung zwischen beruflichen und privaten Interessen und den Interessen eines ehrenamtlichen Funktionärs sind auf internationaler Ebene nicht auszuschließen. Es bedarf einer klaren Regelung.

Als drittes Problem wurde in der Vergangenheit die Manipulation von Wahlen beklagt. Präsidentschaftswahlen und Council-Wahlen zeichnen sich dadurch aus, dass bei diesen Wahlen attraktive Ämter vergeben werden, die für die Sieger einen hohen sozialen Nutzen aufweisen und teilweise auch unter ökonomischen Gesichtspunkten bedeutsam sein können. Angesichts dieser Qualität der Wahlen ist der Versuch des Stimmenkaufs naheliegend. Kandidaten sichern sich ihre Wahl durch „Geschenke“ ab, die teilweise so konstruiert sind, dass ein Teil des Geschenkes vor und die zweite Hälfte gebunden an den Wahlsieg nach der Wahl ausbezahlt wird. Dieser Interessenstausch zwischen Gewählten und Wählern findet geheim statt und kann in der Regel nicht von außen beobachtet werden. Es ist deshalb nicht überraschend, dass darüber lediglich Vermutungen in den Organisationen des Sports existieren. Beweise für solche Interaktionen gibt es meistens nicht.

Ähnlich schwierig zeigen sich uns die Verhältnisse bei den Entscheidungen über die Vergabe von sportlichen Großveranstaltungen. Auch hier ist angesichts der Attraktivität des Entscheidungshandelns längst üblich geworden, dass Bewerber sich um die Stimmen jener bemühen, die über die Vergabe abzustimmen haben. Großzügige Geschenke, finanzielle Zuwendungen, teilweise nicht direkt, sondern indirekt über Angehörige oder Dritte, können dabei die Stimmabgabe beeinflussen.

In vielen internationalen Sportverbänden sind ferner noch Begünstigungen zu beobachten, die eher einen indirekten Charakter aufweisen. Wenn sie jedoch unter politischen Gesichtspunkten konsequent eingesetzt werden, können sie eine hohe Wirkung erzielen. In den meisten olympischen Sportverbänden entscheidet der Präsident über die Zusammensetzung von Kommissionen und Arbeitsgruppen und über begehrte Delegiertenpositionen, die von Mitgliedern des jeweiligen Councils bei Großveranstaltungen auszuüben sind. Abhängig von den Tagegeldvergütungen kann die Position eines technischen, medizinischen oder Media-Delegierten sehr vorteilhaft sein. Die Berufenen werden es dem Präsidenten mit Loyalität und Zustimmung danken.

Instrumente erfüllen lediglich Alibifunktion

Betrachtet man all diese Beispiele aus einer zusammenfassenden Perspektive, so wird schnell deutlich, dass allein mit einem Ethik-Kodex und einer Ethik-Kommission den fragwürdigen Problemen und Strukturen der olympischen Sportorganisationen nicht entsprochen werden kann. Stattdessen wird sichtbar, dass mit diesen Instrumenten lediglich eine Alibifunktion erfüllt wird, die angesichts der öffentlichen Diskussion über angebliche oder tatsächliche Verfehlungen in den internationalen Sportorganisationen erwünscht ist.

Ethik-Kodex und Ethik-Kommission werden somit selbst zum ethischen Problem, sie tragen nicht zur Lösung bei, sondern sie verlängern die ethisch-moralischen Probleme, wie sie in den Sportorganisationen schon seit längerem bestehen.

Die Beispiele machen aber auch deutlich, dass das eigentliche Problem in der hierarchischen Führung der internationalen Sportorganisation zu suchen ist. Auf der Grundlage der Verbands-Konstitution, welche die Mitglieder zu verantworten haben, wurde den Präsidenten in den internationalen Sportorganisationen in vielen Fällen eine Machtfülle zugesprochen, die unter demokratischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist.

Vor allem unterliegt diese Macht so gut wie keiner transparenten Kontrolle. Eine kritisch korrigierende Beobachtung von außen durch Dritte ist weder vorgesehen noch möglich. Viele internationale Sportorganisationen unterliegen so gut wie keinem nationalen Recht und agieren in einem rechtsfreien Raum. Die zwingend notwendige Transparenz aller Sachverhalte kann deshalb nicht durchgesetzt werden. Die Selbstreinigungskraft des Sports wird aus naheliegenden Gründen nicht ausreichen, um diese Situation zu verändern. Notwendig ist vielmehr ein umfassender Druck von außen. Politiker sind dabei ebenso gefordert wie die Medien und die wirtschaftlichen Partner. Erwünscht ist eine kritische Öffentlichkeit, die es den Sportorganisationen zukünftig schwer macht, dass ihre verdeckten Verhältnisse weitergelebt werden.Stuttgart -