Viereinhalb Jahrzehnte war der ET 65 im rund um Stuttgart im Einsatz – hier steht er im Jahr 1979 am ehemaligen Ausbesserungswerk der Deutschen Bahn in Bad Cannstatt Foto: Archiv FzS/Hauf

Ein Muss-Termin für Eisenbahnfans: Der Rote Heuler von 1933 an jahrzehntelang rund um Stuttgart unterwegs, kommt aufs Abstellgleis. Letzte Mitfahrgelegenheit besteht an diesem Sonntag, 31. Mai. Künftig ist der Rote Heuler, wie er genannt wird, nur noch im Eisenbahnmuseum in Horb am Neckar zu bewundern.

Stuttgart - Da kommt Wehmut auf: Millionen Fahrgäste ließen sich einst mit dem ET 65 zu Schule, Arbeit oder Wochenendausflügen kutschieren. Nun ist Schluss: Der Rote Heuler kommt aufs Abstellgleis. Der demnächst anstehende „Tüv“ hätte das Budget der Betreiber gesprengt.

Es war „das typische Knacken, Zischen und Heulen“, das bis heute unvergessen ist und dem Trieb- und Steuerwagen seinen Namen gab, erläutert Claus-Jürgen Hauf. Der gebürtige Cannstatter ist Vorsitzender der Freunde zur Erhaltung historischer Schienenfahrzeuge (FzS), eines gemeinnützigen Vereins mit Sitz in Stuttgart. Und er kann in diesen Tagen eine gewisse Melancholie nicht verbergen. Denn an diesem Sonntagnachmittag wird der Schaffner ein letztes Mal dem Lokführer per grüner Kelle per Pfiff das Signal zur Abfahrt übermitteln. Anschließend, mit der planmäßigen Einfahrt im Stuttgarter Hauptbahnhof um 16.43 Uhr, ist die Ära des Roten Heulers endgültig vorbei: Er kommt ins Eisenbahnmuseum in Horb am Neckar.

„Der ET 65 mit seiner klassischen weinroten Lackierung hat Verkehrsgeschichte geschrieben und gehört zu Stuttgart wie das Volksfest, die Kehrwoche und das Viertele“, sagt Hauf seufzend. 1933 war es, als mit der Elektrifizierung der Hauptstrecke zwischen Stuttgart und Ulm eine neue Ära im Eisenbahnverkehr beschritten wurde. Im Auftrag der Deutschen Reichsbahngesellschaft entwickelte die Maschinenfabrik Esslingen für die Vorortstrecken rund um Stuttgart einen neuartigen Trieb- und Steuerwagen, der später die Bezeichnung ET 65 erhielt – die beiden Buchstaben stehen für Elektro-Triebwagen. Am 15. März 1933 erfolgte die Jungfernfahrt, 45 Jahre lang waren die insgesamt 25 Roten Heuler rund um Stuttgart unterwegs. Der 40,6 Meter lange Triebwagen hat eine Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h und war „das Rückgrat des Nahverkehrs“, sagt FzS-Pressereferent Markus O. Robold.

1978 war’s dann vorbei mit der roten Herrlichkeit: „Mit dem Start der S-Bahn fuhren die beliebten Fahrzeuge aufs Abstellgleis“. Zumindest im offiziellen Verkehr. Denn der Verein hatte zwei der Roten Heuler immer, über seine eigens dafür gegründete Schienenverkehrsgesellschaft (SVG) noch für Ausfahrten, Hochzeiten, Betriebsfeste oder Galas im Einsatz. Vor einigen Jahren .schied allerdings bereits der erste aus, jetzt folgt auch der letzte seiner Zunft.

Der Grund: Eine weitere Hauptuntersuchung, vergleichbar mit dem Tüv, ist zwar fällig, aber zugleich sehr aufwendig und teuer. „Das ist nicht wie bei einem Auto, wo es kurz in die Werkstatt geht und es dann mit 100 Euro erledigt ist; da geht es schnell in einen sechsstelligen Betrag“, erläutert Hauf. Der 1993 gegründete Verein, mit circa 40 aktiven Mitgliedern, hat allerdings die Ersparnisse der vergangenen Jahre in seine Museumshalle gesteckt – 60 Ausstellungsstücke finden im ehemaligen Güterbahnhof von Horb am Neckar Platz. „Unsere finanziellen Möglichkeiten sind ausgereizt“, sagt Hauf. „2007 hatten wir die letzte Hauptuntersuchung, mit dem Sonntagabend läuft die Zulassung ab“, ergänzt Robold.

An eben jenem Sonntag, 31. Mai, ist diese württembergische Legende also letztmals unterwegs – und zwar auf der Heimatstrecke. Die Pendelfahrten führen quasi im Dreieck von Stuttgart bis Ludwigsburg, dann über die sogenannte Schusterbahn samt Schnarrenberg-Tunnel und Eisenbahn-Viadukt Münster bis Esslingen und wieder nach Stuttgart. Die Fahrkarten sind ganz traditionell nur im Zug beim Schaffner erhältlich. Dann können die Fans ein letztes Mal den legendären Knallgeräuschen mitten im Abteil, hervorgerufen durch die elektrischen Schläge beim Übergang auf die nächste Schaltstufe, lauschen – und zum Abschied vom roten Heuler noch ein paar Tränen der Enttäuschung vergießen.

Drei Pendelfahrten finden am Sonntag statt. Einsteigmöglichkeiten in Stuttgart um 11.01 Uhr, in Ludwigsburg um 11.40 Uhr und Esslingen um 12.28 Uhr. Die beiden weiteren Fahrten beginnen zwei beziehungsweise vier Stunden später.. Die Rundfahrt kostet für einen Erwachsenen 16 Euro, für Familien 40 Euro. Tageskarte 40 Euro, Familien 100 Euro.