Im Neckar Forum geht es einen Tag lang um das Thema Krebs. Foto: Horst Rudel

Im Neckar Forum diskutieren am Freitag Fachleute über die besten Wege zur Behandlung von Patienten.

Esslingen - Die Kostenexplosion ist wirklich immens“, sagt Professor Michael Geißler, der Chefarzt der Onkologischen Abteilung am Klinikum Esslingen und Leiter des Onkologischen Schwerpunkts Esslingen. Vor zehn Jahren habe man noch monatlich zwischen 100 und 600 Euro Arzneikosten gehabt, um einen Krebspatienten zu therapieren. Heute komme es nicht selten vor, dass Krebsmedikamente pro Monat 10 000 Euro kosten. Diese Entwicklung birgt Sprengstoff.

Mit der auch für die Patienten spannenden Frage, wie die optimale Versorgung von Krebskranken unter ethischen, aber auch wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Gesichtspunkten aussehen kann, beschäftigt sich am Freitag, 10. November, die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft der Tumorzentren (Ato), in der neben den fünf Universitätskliniken in Baden-Württemberg auch 14 onkologische Schwerpunktzentren vertreten sind. In diesem Jahr findet die Tagung im Esslinger Kultur- und Kongresszentrum Neckar Forum statt.

Der Nutzen bestimmt den Preis

Letztlich geht es um die Frage, welche Medikamente zur Behandlung von Tumorerkrankungen in Deutschland von den Krankenkassen bezahlt werden. Das System ist für den Laien dabei nur schwer zu durchschauen: Pharmaunternehmen müssen neue Medikamente von einer europäischen Kommission genehmigen lassen. In Deutschland prüfen dann Fachleute im so genannten Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), welchen Nutzen die neuen Präparate für den Patienten tatsächlich haben. Oft, so Geißler, handele es sich um Verbesserungen, die das Leben der Patienten um lediglich wenige Wochen verlängerten und dabei erhebliche Nebenwirkungen hätten. Fällt die Nutzungsbewertung der GBA niedrig aus, können die Pharmaunternehmen nach dem ersten Jahr, in dem sie die Preise für ihre Produkte selber festlegen können, gezwungen werden, ihre Preise deutlich zu senken.

Im Extremfall, so Michael Geißler, führe das dazu, dass die Unternehmen entweder von vornherein astronomische Preise verlangten, um nach der erwarteten Kürzung immer noch gute Geschäfte zu machen. Oder sie würden ihre Medikamente in Deutschland gar nicht erst anbieten, weil durch die Vorgaben der GBA ein Preisverfall drohe. Denn in anderen Ländern gebe es diese Nutzenbewertung nicht.

Den Pharmaunternehmen das Feld überlassen

Geißler sieht die Schuld für die Kostenexplosion aber nicht allein bei den meist Dax-notierten Pharmaunternehmen, deren Aufgabe es schließlich sei, Gewinne zu erzielen, um die Aktionäre zu befriedigen. Auch die Tatsache, dass sich die deutschen Universitätskliniken komplett aus der Medikamentenforschung verabschiedet und damit der Industrie das Feld überlassen hätten, habe für die bedenkliche Entwicklung gesorgt.

Ziel der Tumorzentren und onkologischen Schwerpunkte im Land müsse es sein, einen vernünftigen Weg zwischen den politischen Vorgaben und den Patientenwünschen zu finden. Der Suche nach einem solchen Weg widmet sich die Jahrestagung der Ato in Esslingen, zu der mehr als 300 Teilnehmer erwartet werden.

Dabei diskutieren nicht nur Mediziner miteinander. Auch Psychologen, Fachpflegekräfte, Vertreter der Pharmaindustrie, der Krankenkassen und der rund 220 Krebs-Selbsthilfegruppen in Baden-Württemberg nehmen an der Veranstaltung teil.