Der Konzert- und Opernsänger Cornelius Hauptmann mit dem Original eines Briefs des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Foto: Rainer Kellmayer

Dass die menschliche Stimme zum Instrument des Jahres 2025 gekürt wurde, ist ganz nach dem Geschmack des Esslinger Sängers Cornelius Hauptmann. Hier verrät er, welchen Vorteil Singen hat – und warum man auch noch etwas anderes können sollte.

Seit dem Jahr 2008 wählen die Landesmusikräte der Bundesländer ein Instrument des Jahres. Nach Mandoline und Tuba wurde 2025 die menschliche Stimme zum Instrument des Jahres gekürt. Im Gespräch mit dem in Esslingen wohnenden, international bekannten Konzert- und Opernsänger Cornelius Hauptmann werden die vielfältigen Facetten der Stimme beleuchtet und die gesellschaftliche Bedeutung des Singens erörtert.

 

Herr Hauptmann, Forscher gehen davon aus, dass schon vor mehr als 150 000 Jahren gesungen wurde. Wie sehen Sie als professioneller Sänger die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme?

Beim Baby oder Kleinkind fängt es ja schon an. Das Kind schreit Mama und Papa, summt oder singt: Das beruhigt. Singen kann auch ermuntern und fröhlich stimmen. Es kommt auch gerne mal vor, dass Chefs oder Politiker laut werden oder herumbrüllen. Das bringt nichts. Leise Töne haben da oft mehr Gewicht. Hilfreich kann es auch sein, wie Loriot einst in einem Sketch empfahl, ein Jodeldiplom zu besitzen, „denn da hat man was Eigenes“.

Wie werden beim Sprechen und Singen die Töne erzeugt?

Gesteuert durch das Zwerchfell strömt die Luft durch die Stimmlippen im Kehlkopf. Hohe oder tiefe Töne entstehen durch die Länge und Spannung der Stimmlippen. Kurze Stimmlippen haben Soprane oder auch hohe Kinderstimmen, etwas längere dann Altstimmen, bei Männern haben wir Tenöre oder Bässe. Manche Männer haben auch eine besondere Technik, bis in die Alt- oder sogar Sopranhöhen hinaufzusingen: Das sind die sogenannten Countertenöre. Dazu kommt die Arbeit der Zunge und der Lippen für Resonanz und Text.

Wie schätzen Sie die gesellschaftliche Bedeutung des Singens ein?

Äußerst hoch. Die Stimme ist ein sehr verbindendes Element, über die Grenzen von Geschlecht, Herkunft, Sprache, Beruf und politischer Einstellung hinaus. Oft entstehen durch gemeinsames Singen auch bleibende Freundschaften, oder gar – wie zu meiner Zeit in der Jugendkantorei an der Esslinger Stadtkirche – zahlreiche Ehen, auch meine eigene. Originellerweise verliebten sich meine Eltern im Leipziger „Leichenchor“, der bei Beerdigungen sang.

Was halten Sie vom Slogan „Singen macht stark“?

Das trifft unbedingt zu. Längst ist von ärztlicher Seite und von Psychologen erforscht worden, dass das Singen immunisierende Effekte bringt und zudem Auswirkungen auf bestimmte Hirnregionen hat, die vorteilhaft für die Entwicklung der Intelligenz sind. Bahnbrechende Forschungen hierzu gibt es von den Hirnforschern Manfred Spitzer und Gerald Hüther.

Seit dem Ende ihrer professionellen Karriere singen Sie im „Russischen Chor Esslingen“ mit. Welche Bedeutung hat der Chorgesang unter musikalischen und sozialen Aspekten?

Im Russischen Chor sitzen beisammen Lehrerinnen und Lehrer, eine Harfenistin, ein Ingenieur, ein Anwalt, eine Politikerin und andere im Alter zwischen 17 und 75 Jahren. Vielfältig ist auch die Herkunft der Choristen: Sie kommen aus Deutschland, Russland, der Ukraine und aus Spanien. Die integrative Kraft des Chores zeigt sich auch darin, dass wir einen Gehbehinderten und einen blinden Sänger in unseren Reihen haben. Das geht gut zusammen. Der soziale Zusammenhalt aller Gruppen ist äußerst wichtig.

Gibt es ein „Geheimrezept“ für einen guten Chorklang?

Da ist schon viel Arbeit gefragt. Wichtig sind eine kreative und konsequente Chorleitung, Disziplin der Singenden, Kenntnisse über chorisches Atmen und die gegenseitige Anpassung des Klanges. Natürlich sind auch regelmäßige Probenbesuche unerlässlich.

Was ist der Unterschied zwischen der „normalen“ Gesangsstimme und einem professionell ausgebildeten Organ?

Ein professioneller Sänger singt Bach oder Mozart anders als Wagner. Hier gilt es, die stilistischen Unterschiede herauszuarbeiten. Der Profi muss präzise Lautstärke, Sprache und Stimmfarbe – ob lyrisch oder dramatisch – dem Rezitativ, der Arie oder dem Ensemblegesang anpassen. Beim Amateurgesang stehen andere Aspekte im Vordergrund und die Anforderungen sind wesentlich geringer. Hier geht es vornehmlich um die Freude am Singen.

Was würden Sie angehenden Profisängerinnen und -sängern mit auf den Weg geben?

Für alle gilt: Üben, üben, üben – aber auch Zeit lassen und ausprobieren: Gut Ding braucht Weile. Wichtig ist, dass der Vokalist eine individuelle Ausdruckskraft seiner Stimme entwickelt. Es kann auch nicht schaden, neben dem Singen noch etwas anderes zu können, falls es mit der Karriere nicht funktionieren sollte. Die Konkurrenz, insbesondere aus Fernost, ist groß.

International erfolgreich

Ausbildung
Der 1951 in Stuttgart geborene Bassist Cornelius Hauptmann wuchs in Esslingen auf. Im Jahr 1982 legte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart die Bühnenreifeprüfung ab, später erwarb er als Schüler von Jakob Stämpfli an der Musikhochschule Bern das Solistendiplom. Bei internationalen Gesangswettbewerben wurde Hauptmann, der auch Stipendiat der Herbert von Karajan-Stiftung war, mehrfach ausgezeichnet.

Karriere
Nach Engagements an den Opernhäusern in Heidelberg, Karlsruhe und Stuttgart gastierte er weltweit als freiberuflicher Konzert- und Opernsänger. In regelmäßiger Zusammenarbeit mit Dirigentengrößen wie Leonard Bernstein, Pierre Boulez und Nikolaus Harnoncourt gestaltete er zahlreiche Konzerte und wirkte bei CD-Produktionen mit.

Engagement
Von 2012 bis 2024 war Cornelius Hauptmann Vorstandsvorsitzender des Tonkünstlerverbands Baden-Württemberg, der ihn kürzlich zum Ehrenvorsitzenden ernannte. Zudem stand er von 2014 bis 2021 als Präsident dem Deutschen Tonkünstlerverband vor.