Der gerupfte Adler hat vor einem Jahr Aufsehen erregt. Foto: Roberto Bulgrin

Vor einem Jahr hat in Esslingen die Frage bewegt, wie weit die Stadt auf dem Weg zur fahrradgerechten Kommune sei. Das Radwegenetz ist ähnlich gerupft, wie es der Adler auf dem Alten Rathaus damals war.

Esslingen - Jetzt mal gut zugehört. Wem kommt das bekannt vor? „Holprige Pisten, Fahrradwege, die im Nichts enden, Sperrungen, fehlende Stellplätze . . . und, und, und – Radfahrer haben es nicht immer leicht in Esslingen.“ Das klingt nach aktueller Bestandsaufnahme. Aber auch, wer das Gefühl hat, diesen Satz schon einmal in dieser Zeitung gelesen zu haben, liegt nicht falsch. „Ist Esslingen auf dem Weg zur fahrradgerechten Stadt?“ hat vor genau einem Jahr die Frage gelautet, die unsere Zeitung im Rahmen der Aktion „EZ-Sommerredaktion“ den Passanten in der Stadt gestellt hatte.

Die Antworten damals hätten unterschiedlicher kaum sein können und auch heute, 365 Tage später, gibt es auf diese Frage immer noch keine befriedigende Antwort. Wenn es denn einen Weg zur fahrradgerechten Stadt geben sollte, so ist der vor lauter Schlaglöchern kaum noch als solcher auszumachen. Damals wie heute scheint die Diskussion um Verbesserungen für Radfahrer in der Stadt weniger auf ein klares Ziel ausgerichtet zu sein, sondern eher der zurückgelehnten Devise „Der Weg ist das Ziel“ zu folgen.

Ähnlich gerupft wie der Forderungskatalog der Radler-Lobby heute hat sich vor einem Jahr der Reichsadler auf dem Alten Rathaus gezeigt. Dem Wappentier der ehemals Freien Reichstadt waren über Nacht die Flügel gestutzt worden.

Eine Möglinger Spezialfirma hat den Adler seiner Schwingen beraubt, um dem licht gewordenen Gefieder wieder den alten Glanz zu verleihen. Die Goldlegierung der rund 80 Zentimeter hohen Flügel war abgebröselt, worauf das ungeschützte Holz unter Wind und Wetter so gelitten hatte, dass es zu brechen drohte. Mancher Zeitgenosse mag angesichts des gerupften Vogels gedacht haben, der Pleitegeier habe sich des Alten Rathauses bemächtigt, um von dort aus seine Kreise über der Stadt zu ziehen. Die Befürchtung bewegt angesichts der Corona-Untiefen, des Rückgangs der Steuereinnahmen und der anstehenden hohen Investitionen in die maroden Brücken die Stadtoberen heute, ein Jahr später, immer noch. Genauso übrigens wie die Frage, ob Esslingen auf dem Weg zu einer fahrradgerechten Stadt ist.