„Der Mann ohne Eigenschaften“ gilt als das Hauptwerk von Robert Musil Foto:  

Robert Musil und sein Hauptwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ steht im Mittelpunkt des Lesesommers in der Esslinger Stadtbücherei. Unter Führung der Literaturwissenschaftlerin Susanne Lüdtke wandeln die Teilnehmer des in großen Teilen autobiografischen Romans.

Esslingen - Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil zählt zu den bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts. Der Bekanntheitsgrad von Autor und Werk steht allerdings in einem krassen Gegensatz zur Zahl derer, die den rund 1000 Seiten umfassenden Schinken wirklich in die Hand genommen haben. Das Wort „Schinken“ würde Susanne Lüdtke niemals in den Mund nehmen. Sie sagt: „Das ist ein Buch, das alle kennen und das niemand gelesen hat.“ Im Rahmen der von der Stadtbücherei Esslingen ins Leben gerufenen Reihe „Leselust – das Literaturgespräch im Sommer“ will die Esslinger Kunst- und Literaturwissenschaftlerin diesem Mangel abhelfen.

Susanne Lüdtke hat Erfahrung damit, Schwergewichtiges mit leichter Hand zu servieren. James Joyce („Ulysses“) und Marcel Proust („Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“) haben in den vergangenen beiden Sommern auf ihrem literarischen Seziertisch gelegen. Assistiert haben der Seminarleiterin dabei bis zu 50 Teilnehmer. „Leselust ist keine Vorlesung, die man konsumiert. Uns geht es um eine gemeinsame aktive Lektüre, wobei sich jeder auch selbst einbringen kann“, formuliert Susanne Lüdtke ihren Anspruch – und den Anspruch an den Teilnehmerkreis.

Zum Ingenieur nicht geboren

Jetzt also Musil. Zu dem im Jahr 1880 geborenen Schriftsteller hat die Referentin ein besonderes Verhältnis. „Ich habe Ende der 60er-Jahre in Wien über Albert Paris Gütersloh promoviert – einen Maler und Schriftsteller, der eng mit Musil zusammengearbeitet hat“, sagt sie. Auch zu Stuttgart, der Stadt, in der Susanne Lüdtke von 1990 an zehn Jahre als allererste Frauenbeauftragte überhaupt gewirkt hat, gibt es Berührungspunkte. Am Nesenbach sollte Robert Musil auf Wunsch des Vaters Alfred den Feinschliff für seine Berufslaufbahn als Ingenieur bekommen. Die Einschätzung des Leiters der Technischen Hochschule, Carl von Bach, hat Vater und Sohn letztlich eines Besseren belehrt. Dessen mit Brief und Siegel gefälltes Urteil, Robert möge doch machen was er wolle, nur nicht Ingenieur werden, hat den Vater schließlich dazu bewogen, sich dem Wunsch seines Sohnes zu beugen. Er hat ihm grünes Licht für das ersehnte Philosophiestudium und damit in letzter Konsequenz auch für die Karriere als Schriftsteller gegeben.

„Ulrich heißt der Mann ohne Eigenschaften, er ist Mathematiker und Philosoph und stellt sich permanent selbst in Frage, ein junger Intellektueller auf der Suche nach sinnvoller und ihn ausfüllender beruflicher und privater Existenz“ – die Worte, mit denen die Veranstaltungsleiterin der Bücherei, Renate Luxemburger, für die Leselust wirbt, treffen 80 Jahre später immer noch die aktuelle Befindlichkeit vieler Männer. Der Mann ohne Eigenschaften sei ebenso Projektionsfläche, wie der die Neugier anspreche. „Ich bin gespannt, wie sich der Titel auf unseren Männeranteil auswirkt“ sagt Renate Luxemburger. Der liege bisher bei rund 15 Prozent und sei durchaus noch „ausbaufähig“.

„Wer bin ich eigentlich?“

Eines verspricht Susanne Lüdtke der interessierten Männerwelt trotz allem nicht. „Man(n) darf nicht erwarten, dass er ohne Eigenschaften zum ersten Termin kommt und mit den heimlich erhofften Eigenschaften aus dem vierten Termin rausgeht“, sagt sie. Die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ müsse jeder für sich selbst beantworten. Ansonsten aber sollten bei der viertägigen, auf jeweils vier Stunden angesetzten Beschäftigung mit Robert Musils Hauptwerk keine Fragen offen bleiben. . .