So wie vor 70 Jahren, wird auch beim lettischen Sängerfest 2017 Folklore auf Esslingens Straßen zu sehen sein. Foto: privat

Mit dem lettischen Sängerfest kehrt am Wochenende ein Stück Nachkriegsgeschichte in die Stadt zurück. Vor 70 Jahren tanzten und sangen die Exil-Letten schon einmal durch Esslingens Straßen.

Esslingen - Gut 10 000 Menschen kamen 1947 nach Esslingen, um das lettische Sängerfest mitzuerleben. Ob es am kommenden Wochenende vom 16. bis zum 18. Juni wieder so viele sein werden, ist fraglich. Doch 70 Jahre später findet das kulturelle Großereignis erneut in Esslingen seine Bühne, in der Stadt, in der nach dem Zweiten Weltkrieg das größte lettische Zentrum in der Westalliierten Zone entstanden war.

Von Freitag bis zum Sonntag wird in Esslingen eine fast vergessene Zeit wieder aufleben. An zahlreichen Orten und Schauplätzen werden lettische Tänze, Gesänge sowie das Musical „Eslingena“ zu sehen und zu hören sein. „Eslingena“, das ist der lettische Name Esslingens, wo nach dem Zweiten Welt die meisten Letten untergebracht worden waren, weiß Elmars Ernsts Rozitis zu berichten. Laut dem ehemaligen Erzbischof waren rund 200 000 vor Stalin nach Deutschland geflohen, 7000 landeten in Esslingen. „So wurde die Stadt zum größten Sammelbecken für Letten in Deutschland“, sagt Rozitis. Die Familie des einstigen Erzbischofs der Lettisch Evangelisch-Lutherischen Kirche gehörte auch dazu. Er wurde 1948 in Esslingen geboren. Nach Erzbischof Theodor Grünberg, der die lettische Kirche von 1945 bis 1962 von Esslingen aus geleitet hat, hatte Rozitis das Amt von 1994 bis 2015 inne. Damit war Esslingen zweimal Sitz des Kirchenoberhaupts.

Neue Generation pflegt Bräuche und Traditionen

Mit den Letten kamen auch ihre Bräuche nach Esslingen. Wie etwa, dass die Jugend erst im Alter von 17 Jahren konfirmiert wurde. Die Mädchen trugen traditionell lange weiße Kleider. „Die gab es nur im Brautmodenladen. Man hat das dann immer als Massenhochzeit bezeichnet“, erinnert sich Rozitis und lacht.

„Es war eine Zeit intensiven Feierns und kultureller Veranstaltungen“, sagt Martin Beutelspacher vom Esslinger Stadtmuseum, wo eine kleine historische Ausstellung zum Leben der Esslinger Letten zu sehen ist. Die Kuratorin der Ausstellung, Liene Poriete, erklärt sich das wie folgt: „Man hat nach dem Krieg alles Materielle verloren und die Kultur und Bräuche waren das, was die Menschen noch hatten.“ Lange sollte das lettische Leben nicht in diesem Umfang in Esslingen blühen. Von 1949 an, kurz bevor das Lager in Esslingen geschlossen wurde, begann die Auswanderung in Richtung USA, Australien und Neuseeland.

„Es ist ein Fest der Geschichten“, betont Laura Putane. Die Koordinatorin des Festes ist zugleich die Vorsitzende von Saime, dem erst zwei Jahre jungen lettischen Kulturverein. Die junge Frau gehört zur neuen Generation von Letten in Deutschland, deren Zahl nach der EU-Erweiterung in Deutschland wieder angestiegen ist. Sie möchten ihre Sprache, Bräuche und Traditionen auch in Deutschland pflegen.