Nach dem Biss in den Schokoriegel geht es uns gut, aber warum? Foto: Fotolia

Forscher von der Uni Tübingen untersuchen, warum wir essen, was wir essen. Das könnte künftig zu besseren Diätprogrammen führen.

Tübingen - Mehrere Kilos hat Lena, 26, im letzten Jahr abgenommen. Übergewichtig ist die Studentin nun nicht mehr. Aber der Zeiger an der Waage schlägt schon wieder etwas mehr aus als direkt nach ihrer Diät. Denn wesentlich schwieriger als abzunehmen ist es, das neue Gewicht zu halten. Aber warum eigentlich? Und warum muss der eine bei jedem Einkauf zu Chips und Cola greifen, während der Nächste Salat wählt?

Um das herauszufinden, unterstützt die Europäische Union in den nächsten fünf Jahren 16 Arbeitsgruppen an europäischen Unis und Firmen finanziell bei Projekten rund um die menschlichen Ess-Entscheidungen. Beteiligt ist auch die Uni Tübingen mit der Forschergruppe um den Neurowissenschaftler Hubert Preißl. Sie sollen klären, welche Prozesse genau im Gehirn ablaufen, wenn man sich beispielsweise für Chips oder Salat entscheidet.

Dazu wird Lena nun langsam in einen riesigen Kernspintomografen geschoben. Die 26-Jährige ist eine von 200 Versuchspersonen, die den Tübinger Forschern in den nächsten Jahren helfen. Ihre rechte Hand umklammert ein kleines Kästchen mit mehreren Knöpfen. Sie hat bis zu diesem Test am Nachmittag nichts gegessen. Gleich wird sie auf einem Bildschirm im Kernspintomografen verschiedene Kreise sehen. Mal bedeuten diese, dass Lena sich dafür später aus einem Snackkorb bedienen darf. Mal bekommt sie keine Belohnung, selbst wenn sie den richtigen Knopf für den entsprechenden Kreis drückt.

Schon der Anblick eines Schokoriegels reicht, um ihn haben zu wollen

„Unser Essverhalten wird im Gehirn von zwei Bereichen beeinflusst: Das homöostatische System signalisiert, welche Energie der Körper braucht, nachdem er Kalorien verbraucht hat. Hier wird nur nach Hunger gegessen“, sagt Preißl. Allerdings gibt es noch einen zweiten Gehirnbereich: das hedonische System. „Das sorgt dafür, dass wir auch aus Lust, Frust oder reinem Genuss essen.“ Verantwortlich hierfür ist unter anderem der Botenstoff Dopamin. Er nimmt Einfluss auf das Belohnungssystem im Gehirn: Wird aus Lust oder Frust gegessen, fühlt man sich danach besser als davor – der Mensch hat sich mit dem Essen belohnt.

Während Lenas Finger immer wieder auf das Kästchen in ihrer Hand drücken, sitzt im Nebenraum die Psychologin Sabine Frank vor mehreren Bildschirmen. Darauf sind Lenas Hirnschichten zu erkennen. Jedes Mal, wenn Lena einen der Knöpfe drückt, ändern sich die Bilder am Computer. „So können wir sehen, wann bestimmte Gehirnbereiche aktiv wurden“, sagt Frank.

Das Ergebnis: Wenn Lena die Abbildungen sieht, für die sie sich später einen Schokoriegel oder Kekse aussuchen darf, reagiert sie schneller als bei den anderen Abbildungen. Außerdem zeigt sich auf dem Computer eine höhere Aktivität in den Hirnbereichen, in denen das Belohnungssystem liegt. Der Dopaminspiegel ist höher. „Allerdings verhält sich der Dopamin-Anstieg nicht bei allen Menschen gleich. Wenn wir nun genau messen könnten, wer wie reagiert, könnte das auch nach Diäten entsprechend berücksichtigt werden“, sagt Frank.

Das Gehirn so manipulieren, dass es Salat bevorzugt? Soll bald möglich sein

Menschen, die etwa stark auf diese Belohungsreize reagieren, könnten bei einer Ernährungsberatung entsprechend manipuliert werden. Hubert Preißl nennt ein Beispiel. „Ich mag eigentlich kein vegetarisches Essen, weil ich aus einer Generation komme, in der diese Ernährung mit Verzicht verbunden wird. Seit ich aber indische Freunde habe, die sehr lecker vegetarisch kochen, hat sich meine Einstellung dazu geändert.“ Dadurch meldet das Gehirn auch bei vegetarischem Essen eine Belohnungsreaktion – und muss nicht später mit einer Portion Fleisch zufriedengestellt werden.

Noch aber sind die Daten aus den Gehirnexperimenten nicht ausreichend, um übergewichtigen Menschen beim Abnehmen helfen zu können. Ähnlich sieht es bei anderen Einflussfaktoren auf das Essverhalten aus: der frühkindlichen Ernährung etwa oder dem familiären Umfeld, in dem jemand aufwächst. „Wir hoffen aber, dass wir in den nächsten fünf Jahren genügend neue Erkenntnisse gewinnen, um damit bessere Präventivprogramme gegen Übergewicht und Adipositas unterstützen zu können“, sagt Preißl.

Lena wurde inzwischen wieder aus der engen, grauen Röhre des Kernspintomografen befreit. Sie hat die Aufgaben mit den Kreisen gut gelöst und darf sich mehrere Sachen aus dem Snackkorb aussuchen. Es gibt Äpfel, Bananen und Wasser. Doch Lenas Finger greifen zielstrebig nach den Schokoriegeln, die ebenfalls im Korb liegen. Noch ist ihr Belohnungssystem nicht entsprechend manipuliert worden. Noch hilft ihr nur eine weitere klassische Diät dabei, die überflüssigen Kilos wieder loszuwerden.