Grand Prix ist, wenn Deutschland Letzter wird? Lange Zeit sieht beim ESC-Finale alles nach einem Sieg von Australien aus, doch dann siegt überraschend die Ukraine. Das als Favorit gehandelte Russland wird nur Dritter, Jamie-Lee landet auf Platz 26.
Stockholm - Deutschland hat beim Eurovision Song Contest zum zweiten Mal in Folge nur den letzten Platz erreicht. Mit lediglich elf Punkten landete Jamie-Lee Kriewitz (18) in Stockholm mit dem Lied „Ghost“ ganz hinten im Feld der 26 Finalteilnehmer. Im vergangenen Jahr war Deutschland mit Ann Sophie („Black Smoke“) ebenfalls nur auf den letzten Platz gekommen – mit null Punkten. Den Sieg holte diesmal die krisengeplagte Ukraine, vor Australien und Russland.
In der Nacht zum Sonntag sagte Jamie-Lee im ARD-Fernsehen, sie sei natürlich ein bisschen traurig, aber sie gebe sich keine Schuld. „Ich war sehr zufrieden mit meinem Auftritt und ich glaube, ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Die Siegerin der Castingshow „The Voice of Germany“ mit der Startnummer zehn meisterte ihren Auftritt gegen 21.45 Uhr in einem blauen fantasievollen Manga-Outfit-Kleid mit Kopfschmuck und mystischem Waldbühnenbild.
Die Sängerin war Ende Februar beim deutschen Vorentscheid von den TV-Zuschauern gekürt worden. Ursprünglich hatte der zuständige Sender NDR Xavier Naidoo schicken wollen, dessen direkte Nominierung aber wieder kassiert, als Proteste gegen einige politische Äußerungen des Sängers („Dieser Weg“) laut geworden waren.
Ukrainische Politiker gratulieren Jamala
ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber versuchte noch in der Nacht eine mögliche Erklärung für das schlechte Abschneiden: „International und beim Publikum in allen Altersschichten ist es offenbar eher auf Unverständnis gestoßen, dass ein Manga-Mädchen aus Deutschland antritt.“ Ihr Auftritt sei aber „eins a“ gewesen.
Auf Platz eins mit 534 Punkten landete diesmal überraschend die Ukraine. Der Song „1944“ der Krimtatarin Jamala (32) ist eine moderne Klage-Ballade. Das Lied mit Elektro-Elementen beschreibt die Vertreibung ihrer Minderheit unter Sowjetdiktator Josef Stalin und wurde zum Teil auch als Kritik an Russlands Krim-Annexion 2014 verstanden. Beschwerden gegen den angeblich aktuell-politischen Gehalt hatten die ESC-Veranstalter aber zurückgewiesen.
„Ich wusste, dass es die Menschen berühren kann, wenn man über etwas Wahres singt“, sagte ESC-Siegerin Jamala in der Nacht zum Sonntag bei einer Pressekonferenz. „Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass man einfach nur an das glauben muss, was man tut.“ Die politische Spitze ihres Landes gratulierte überschwänglich zum Sieg: „Unglaublicher Auftritt und Sieg! Die ganze Ukraine dankt dir von Herzen, Jamala!“, twitterte Präsident Petro Poroschenko.
Das Finale des 62. Eurovision Song Contest soll nach vorläufigen Angaben der Veranstalter von der European Broadcasting Union (EBU) am 20. Mai 2017 über die Bühne gehen. Vermutlich wird der Austragungsort die ukrainische Hauptstadt Kiew sein. ESC-Direktor Jon Ola Sand zeigte sich überzeugt, dass die Veranstaltung trotz des andauernden Konflikts der Ukraine mit russischen Separatisten dort steigen kann.
Für die Ukraine ist es der zweite ESC-Sieg nach 2004 mit der Sängerin Ruslana und dem Song „Wild Dances“. Platz zwei erreichte in diesem Jahr das außereuropäische Gastland Australien mit der Powerballade „Sound Of Silence“ der Sängerin Dami Im. Rang drei belegte Russland mit dem Zuschauerliebling Sergej Lasarew („You Are The Only One“), der zuvor als Favorit gehandelt worden war.
180 Millionen Zuschauer vor dem Fernseher
Die Zuschauer konnten wie immer mit abstimmen, jedoch nicht für die eigene Nation. Ihr Voting wurde ergänzt von Juroren. In der Voting-Zeit trat der amerikanische Superstar Justin Timberlake außer Konkurrenz auf und sang sein neues Lied „Can’t Stop The Feeling“.
In diesem Jahr war die Punkteverkündung von Jurys und Publikum erstmals getrennt: Zuerst wurden per Schalte in alle Länder die Jurystimmen abgefragt. Dann verlasen die Moderatoren die Zuschauervoten vom Schlechtesten bis zum Besten – was Spannung bis zum Schluss bedeutete. Viele Minuten sah es nach einem Sieg von Australien aus, bis am Ende die Ukraine vorne lag.
Der Wettbewerb sei einst geschaffen worden, um einen nach dem Krieg zerrissenen Kontinent zu einen, sagte der schwedische Moderator und Vorjahressieger Måns Zelmerlöw zum Auftakt der Finalshow. Zusammen mit der Komikerin Petra Mede führte er humorvoll und selbstironisch durch die Show. Das Duo sang unter anderem einen Klischee-Grand-Prix-Siegerhit namens „Love Love Peace Peace“, der auf allerhand frühere Teilnehmer und Sieger anspielte.
In der Stockholmer Globe Arena schauten etwa 16 000 Fans zu, geschätzt etwa 180 Millionen Zuschauer weltweit verfolgten die Finalshow vor dem Bildschirm. Für die deutschen TV-Zuschauer im Ersten der ARD kommentierte zum 19. Mal Peter Urban (68) die Show.