Wenn Erziehung nicht zum Tauziehen zwischen Eltern und Kindern werden soll, hilft es manchmal, einen Experten zu fragen Foto: S.Kobold/Fotolia

Das Kind spricht in Kacka-Sprache, isst nur noch Nudeln und trägt Jogginghosen – Wir haben vier Erziehungsexperten gebeten auf typische Elternprobleme zu antworten.

Wir haben vier Erziehungsexperten gebeten, auf Fragen zu antworten, die wahrscheinlich viele Eltern aus ihrem Alltag kennen. Die Antworten stammen von der Autorin Gerlinde Unverzagt (55, „Das Lehrerhasserbuch“), dem Kinderarzt Herbert Renz Polster (55, „Kinder verstehen“), der Autorin Rike Drust (40, „Muttergefühle. Gesamtausgabe“) sowie dem Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge (68, „Kinder brauchen Grenzen“). -

Frage:

Das Kind isst zweimal in der Woche mit zwei Freunden zu Abend. Das eigene Kind ist dazu erzogen worden zu essen, was es gibt. Die anderen nicht. Mit vier Jahren nun übernimmt das eigene Kind die Marotten der anderen und findet plötzlich Dinge igitt, die es früher problemlos gegessen hat. Hilft da Strenge vor den anderen Kindern? Oder nachgeben, was nachhaltig schwierig sein könnte? -

Gerlinde Unverzagt:

„Vierjährige wissen, dass die Regeln in Familien verschieden sind. Die einen sprechen ein Nachtgebet, den anderen wird eine Geschichte vorgelesen, die nächsten müssen nach dem ‚Sandmännchen‘ ins Bett. Bei uns wird gegessen, was es gibt, und bei anderen ist das eben anders – die Botschaft lässt sich doch rüberbringen!“

Herbert Renz-Polster:

„Sie müssen jetzt nicht verzweifeln. Keines der Kinder wird verhungern oder Vitaminmangel erleiden, das ist schon mal wichtig. Es mag sein, dass ein Kind eine Zeit lang das andere kopiert, aber das wird bald wieder anders. Langfristig entwickeln sich Kinder zu guten Essern, wenn sie in einer positiven Stimmung zugreifen dürfen (aber nicht müssen). Vielleicht wirft Ihr eigenes Kind ja deshalb so schnell das Handtuch, weil es durch äußere Motivation zum Essen ‚erzogen‘ wurde, anstatt dass es gelernt hat, das mit Freude selbst und von innen zu regeln.“

Rike Drust:

„Unser Großer (6) hat früher alles gegessen, egal ob es Augen, eine grobe Konsistenz oder eine unappetitliche Farbe hatte. Inzwischen gleicht sein Essverhalten der Persönlichkeit von Monk, während sich die Kleine (2) neben ihm Oliven mit Anchovi-Füllung reinhaut. Das ändert sich auch wieder. Ich zwinge meine Kinder nicht, Dinge zu essen, die sie nicht mögen. Bei uns gilt nur: Was eklig gefunden wird, wird vorher probiert. Auch wenn Freunde mit am Tisch sitzen.“

Jan-Uwe Rogge:

„Die Freunde Ihres Kindes sind bei Ihnen zu Gast. Und da gelten die Vereinbarungen, die bei Ihnen üblich sind. Das betrifft auch das Essen. Nicht Strenge hilft, sondern Klarheit. Die wünscht sich Ihr Kind. Entweder die Freunde suchen ein anderes ,Restaurant’ mit umfangreicher Speisekarte oder sie probieren zumindest einmal Ihr Gericht.“

Darf das Kind Kacka sagen?

Frage:

In unserem Kindergarten sind die Worte Kacka und Co. unglaublich in Mode. In einem Urlaub mit den anderen Kindern häuft sich nun die Anwendung. Hilft da Strenge? Oder einfach Weghören?

Unverzagt:

„Kaum etwas ist so verführerisch für kleine Kinder wie Witze über stinkende Fürze, Pipi und Kacka. Wir Erwachsenen tun das schnell als albern und kindisch ab. Aber wenn Kinder nicht kindisch sein dürfen, wer dann? Außerdem: Wenn Kinder zu Hause diese Worte nicht sagen dürfen, heißt das noch lange nicht, dass sie damit aus der Welt sind. Die Eltern haben sie nur gelehrt, sie nicht auszusprechen. Wenn Sie darüber hinweghören, hören Kinder irgendwann damit von selbst auf. Aber das kann sehr lange dauern.“

Renz-Polster:

„Tut mir leid, aber wer mit Worten wie Kacka und Co. ein Problem hat, sollte Lockerungsübungen machen. Die Entspannung hilft auch den Kindern, die haben nun mal einen sehr eigenwilligen Sinn von Humor (wir Großen auch, den finden aber wiederum die Kleinen nicht witzig). Das mit Kacka und Co. wird sich übrigens von selber geben – sobald die Kinder älter sind, wird ihnen das selbst peinlich.“

Drust:

„Meine Tochter (2) sagt gerade Kackawurst. Sie schnappt es auf, testet es bei mir, ich ignoriere es, fertig. Anders beim Großen (6). Auf dem Schulhof ist es gerade wichtig, jeden Satz mit ‚krass‘, ‚geil‘, ‚scheiße‘ anzureichern. Ich erkläre, dass diese Worte dort vielleicht sein müssen, aber dass in unserer Familie andere Sprachregeln gelten. Sein Freund zum Beispiel darf vielleicht so oft ‚geil‘ sagen, wie er will, aber dafür muss der auch immer den Tisch decken. Das versteht mein Sohn, zumindest zu den Mahlzeiten.“

Rogge:

„,Kacka’ – welch poetisches Wort aus weichen Vokalen und Konsonanten. Kinder spielen mit der Sprache, experimentieren, erfreuen sich an ihren Wortschöpfungen. Bei Drei- bis Vierjährigen gilt: Überhören! Je mehr Sie auf ,Kacka’ eingehen, umso mehr spielen die Kinder nicht nur mit den Worten, sondern mit Ihnen und Ihrer Hilflosigkeit.“

Das Kind will nicht mehr zu Oma

Frage:

Meine Tochter (3,5) liebt ihre vier Großeltern. Jede Woche ist sie zu Besuch bei ihnen, schläft regelmäßig dort, freut sich, wenn sie sie sieht. Heute plötzlich sagt meine Tochter zu mir: „Ich mag die Oma C. nicht, ich will da nie wieder hin. Die Oma ist blöd.“ Zuvor war aber nichts vorgefallen. Was ist zu tun und zu sagen?

Unverzagt:

„Auch wenn tatsächlich nichts vorgefallen ist – erst mal wiederholt die Mutter, was sie glaubt, verstanden zu haben: ‚Oh, du kannst die Oma gar nicht mehr leiden?‘, oder ‚Du hast dich über die Oma richtig geärgert?‘ Das Kind nickt und fühlt sich, erfreut über die Aufmerksamkeit, darin bestärkt, mehr zu erzählen. ‚Oma war so schrecklich grausam zu mir.‘ Mama kriegt einen Mordsschreck, sieht Kindesmisshandlung vor ihrem geistigen Auge. ‚Schatz, was hat sie getan?‘, fragt sie so ruhig wie möglich. ,Ich habe mich zum Baden ausgezogen, und sie sagte, ich müsste mein T-Shirt in den Wäschekorb legen. Sie sagte, ich müsste es selbst vom Boden aufheben. Und sie würde mir die Gummiente nicht

geben, bevor ich das T-Shirt nicht aufgehoben habe.‘“

Renz-Polster:

„Natürlich ist da irgendetwas vorgefallen, und sei es nur in den Augen des Kindes. Also: Drüber reden, ernst nehmen. Und noch mal drüber reden. Sie wollen doch wissen, was in Ihrem Kind vorgeht, oder? Das Kind jetzt einfach zu manipulieren oder zu quälen, dass es zur Oma geht, macht die Beziehung endgültig schwierig. Das Kind lernt dann nur, dass es selbst nichts zählt und dass es am besten mit Lügengeschichten fährt.“

Drust:

„Für wen ist nichts vorgefallen? Für die Oma? Stellen Sie sich vor, Sie fallen hin, tun sich echt weh und jemand anders kommt und sagt: ‚Nichts passiert.‘ Das macht ja auch keinen Sinn. Ich würde weiter versuchen, durch Reden und sensibles Nachfragen vom Kind zu erfahren, warum es nicht zur Oma möchte, und bei den nächsten Besuchen dabei sein, damit das Kind sich sicher fühlt.“

Rogge:

„Zur Liebe gehört die Abgrenzung. Ihre Tochter probiert die Wirkung ihrer Worte aus. Nehmen Sie Ihre Tochter in den Arm, geben Sie Ihr Nähe und Geborgenheit. Sagen Sie nichts und bringen Sie Ihre Tochter am anderen Tag wieder zur Oma.“

Soll ich das Chaos im Kinderzimmer tolerieren?

Frage:

Ich überlasse es meinem 17-jährigen Sohn, sein Zimmer aufzuräumen und zu putzen. Das Ergebnis: Es passiert überhaupt nichts, es herrscht totales Chaos. Wird sich das von selbst irgendwann ändern – oder müsste ich mehr Druck machen?

Unverzagt:

„Kindern immer mehr Dinge selbst zu überlassen ist ganz einfach. Schwierig ist nur, mit dem Ergebnis zu leben. Aber das dazu: Wenn ich eine Sache zur Sache des Kindes erkläre, geht sie mich nichts mehr an. Kleiner Trost: Es wird von selbst besser, spätestens mit dem ersten Damenbesuch . . .“

Renz-Polster:

„Zunächst: In dem Zimmer lebt Ihr 17-jähriger Sohn, nicht Sie. Für ihn herrscht vielleicht eher überschaubares Chaos. Klar können Sie das thematisieren, aber in einem ,Beziehungston‘: Fragen Sie ihn, woran es hakt. Es fällt Ihnen auch kein erzieherischer Zacken aus der Krone, wenn Sie ihm helfen – vielleicht ist es das, was Ihr Sohn schätzen würde?“

Drust:

„Meine Kinder sind ja noch viel kleiner, deshalb kann ich gar nicht so viel dazu sagen. Vielleicht so: Wenn Sie beim Anblick des Zimmers körperliche Schmerzen verspüren, würde ich tatsächlich mehr Druck machen. Ist ja schließlich Ihre Wohnung. Wenn Sie aber jetzt gar nicht der Druckmach-Typ sind, dann würde ich ein paarmal tief durchatmen und lieber der Tür-von-außen-zumach-Typ werden.“

Rogge:

„Natürlich ändert sich das! Wenn Ihr Sohn eine Freundin hat, wird er zum Putzteufel, wenn er sie in sein Zimmer einlädt. Aber dann baut sich ein anderes Problem für Sie auf und Sie werden sich nach dem Chaos zurücksehnen.“

Das Kind versteht kein Nein

Frage:

Meine zweijährige Tochter versteht das Wort „Nein“ überhaupt nicht. Sie macht Dinge, die ich nicht will (zum Beispiel auf dem Stuhl stehen), immer wieder – auch wenn ich schon Konsequenzen gezogen habe (sie muss vom Stuhl runter). Wie setze ich mich besser durch?

Unverzagt:

„Es muss was mit den Synapsen zu tun haben. Wir alle haben Mühe, ein ‚Nein‘ zu verstehen. Kostprobe? Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten. Na bitte.Eltern erzielen schöne Erfolge, wenn sie ihren Kindern nicht sagen, was sie nicht machen sollen, sondern nur sagen, was sie machen sollen: ,Bitte setz dich auf den Stuhl!‘ Oder: ‚Bitte bleib an meiner Hand!‘ statt ,Du sollst nicht wegrennen!‘“

Renz-Polster:

„Müssen Sie sich durchsetzen? Ja, wenn es zum Beispiel gefährlich wird. Ein zweijähriges Kind will mit jeder Faser wirksam sein und sein Ding machen. Für das Kind ist oft nicht nachvollziehbar, warum etwas nicht gehen soll. Deshalb: Machen Sie nicht den Fehler, hier gleich einen Machtkampf zu inszenieren. Das verbaut den Weg, es anders zu lösen. Mit Geduld, Humor und Nerven eben.“

Drust:

„Lustig, meine Tochter ist auch zwei und steht regelmäßig im Hochstuhl auf. Manchmal tanzt sie auch. Ich mache es dann genau wie Sie. Ich sage ihr, sie soll sich hinsetzen, weil ich nicht will, dass sie runterfällt. Manchmal setzt sie sich hin. Manchmal nicht. Dann sage ich es noch mal. Und noch mal. Irgendwann macht sie es dann. Oder ich hebe sie herunter. Ich versuche mir in solchen Situation immer zu sagen: Das ist wie Meditieren, nur dass ich nicht extra mit ’ner Yogamatte durch den Regen zu einem teuren Kurs fahren muss.“

Rogge:

„Mit dem Nein ist das so ein Kreuz. Einerseits setzen Zweijährige mit diesem Wort selbst oft eine Grenze (,Ich will nicht!’), andererseits verstehen sie das Wort nicht. Sie sind in dieser Hinsicht vater- und muttertaub. Deshalb: Vermeiden Sie immer dann, wenn es geht, ein Nein oder ein Nicht. Sagen Sie anstatt ‚Du kletterst nicht auf den Stuhl!’ lieber ,Ich möchte, dass du sitzen bleibst!“

Sollen Kinder mit ins Restaurant?

Frage:

Soll man Kleinkinder abends mit ins Restaurant nehmen, auch wenn es kein ausgewiesenes Familienrestaurant ist? Oder sollte man Kinder erst mitnehmen, wenn sie in der Lage sind, längere Zeit ruhig auf ihrem Stuhl zu sitzen?

Unverzagt:

„Bloß nicht! Die Eltern sind angespannt, die anderen Gäste genervt, und für kleine Kinder ist das Stillsitzen eine Folter. Natürlich kann man ihnen ein iPad in die Hand drücken, das sie fesselt. Aber das finde ich noch schlimmer. Alles zu seiner Zeit! Wenn Kinder Freude an einem gepflegten Tischgespräch in gedämpfter Stimmlage entwickelt haben, ist es immer noch früh genug, abends zusammen essen zu gehen.“

Renz-Polster:

„Sie kennen doch Ihre Kinder, und wenn Sie meinen, Sie werden Spaß haben miteinander, dann nehmen Sie sie mit. Vielleicht packen Sie ein Tischspiel mit ein. Apropos: In was für ein Restaurant gehen Sie denn, in dem man ruhig auf dem Stuhl sitzen muss? Mit Kindern?“

Drust:

„Das hängt vom Kleinkind ab. Wenn es mit Essen wirft, an den Nebentischen pupst und dem Kellner ein Bein stellt, würde ich davon absehen. Wenn ihr Kind aber einfach ein Kind ist, das vielleicht auch mal weint oder lauter lacht und mal ein bisschen rumläuft oder meinetwegen auch was umwirft, würde ich es mitnehmen. Aus Gründen der eigenen Entspannung allerdings in ein Restaurant, in dem Kinder gern gesehene Gäste sind.“

Rogge:

„Wenn man mit dem Partner genussvoll essen will, dann gibt man die Kinder zu Oma und Opa. Um Partnerschaft zu leben, braucht es Zeiten ohne Kinder. Mir hat einmal ein älteres Kind gesagt: ,Wenn Papa und Mama sich mehr anschauen würden, würden sie mich nicht immer sehen!’“

Mit Jogginghosen in die Schule

Frage:

In der Klasse meines zehnjährigen Sohnes ist es gerade Mode, in Jogginghosen zur Schule zu gehen. Ich finde eigentlich, dass man mit ordentlicher Kleidung aus dem Haus gehen sollte. Soll ich meinen Sohn zwingen, etwas anderes anzuziehen?

Unverzagt:

„Mit Zehnjährigen ist schon gut verhandeln! Man kann sich zusammensetzen, ein ernstes Gesicht machen und sagen, hör mal, wie machen wir das jetzt? Für und Wider der Kleiderordnung abzuwägen kann zu schönen Kompromissen führen: Zweimal gehst du in die Schule, wie du willst – und dreimal so, wie du sollst.“

Renz-Polster:

„Ja, das sollten Sie unbedingt. Allerdings nur, wenn Sie wirklich ein Kind haben wollen, das in Ihren Augen ordentlich herumläuft – und wenn Sie dafür in Kauf nehmen, dass aus Ihrer Familie eine Art Anstalt wird. Echte Beziehungen sehen anders aus, als dass der eine Befehle gibt und der andere schluckt. Vielleicht stellen Sie sich besser dem erzieherischen Dilemma: Wenn Kinder genau das machen, was wir von ihnen wollen, sind sie oft noch keinen einzigen Schritt in ihrer Entwicklung weiter. Oft ist das Gegenteil der Fall.“

Drust:

„Wenn Sie in den Kleiderschrank meines Sohnes gucken könnten, würden Sie nichts sehen, weil alles verstreut auf dem Boden liegt. Und dort: fast nur Jogginghosen. Im Gegensatz zu Ihnen finde ich nicht, dass meine Kinder ordentlich aussehen müssen. Wofür denn? Sie müssen ja nur spielen und nicht bei der Bank fragen, ob ihr Dispo erhöht wird. Ich musste als Kind Kleidung tragen, die für meine Eltern ordentlich, für mich jedoch Höchststrafe waren. Deshalb können meine Kinder tragen, was sie wollen, solange es klimatisch hinhaut.“

Rogge:

„Jogging-Hosen zieht man zu Hause oder im Sportunterricht an. Gehen Sie in das Gespräch mit Ihrem Sohn. Bestehen Sie auf Ihrer Auffassung. Er wird Sie peinlich oder uncool finden. Aber ich denke das können Sie aushalten.“