Wenn Kitas nicht mehr wie gewohnt geöffnet haben, bedeutet das für die Eltern meist einen Alltag im Schweinsgalopp. Foto: dpa, Holowiecki

Landauf, landab fehlen Erzieher. Jetzt häufen sich Fälle, dass Kitas Zeiten verkürzen oder gar schließen. Für Eltern ist das eine Katastrophe. Beispiele von den Fildern.

Filder - Jetzt ist er doch eingetreten, der schlechteste Fall. Der katholische Kindergarten Sankt Thomas Morus in Heumaden hat seine Öffnungszeiten verkürzt, und die hoffnungsfrohen Ankündigungen des Trägers, dass alles womöglich gar nicht so schlimm werden würde, haben sich zerschlagen. Die Eltern können den Nachwuchs morgens erst eine halbe Stunde später bringen und müssen ihn nachmittags anderthalb Stunden eher abholen. Wegen Personalmangels. Drei Vollzeitstellen sind unbesetzt, erklärt Andreas Schöppler. Für den Elternvertreter und seine Frau, beide berufstätig, heißt das: ein Leben im Schweinsgalopp. „Der eng getaktete Alltag fliegt aus allen Fugen“, sagt Caroline Backes-Schöppler. Die Gymnasiallehrerin muss regelmäßig rennen, um den vierjährigen Sohn abzuholen. Sie und ihr Mann wissen von anderen Eltern, die keine Mittagspause mehr machen und Fahrräder angeschafft haben, um Zeit rauszuschlagen. „Es ist eine abartige Belastung“, sagt sie.

Etwa 30 Stellen sind derzeit unbesetzt

Die katholische Kirche in Stuttgart unterhält 66 Kitas für mehr als 3000 Kinder. Und sie sucht händeringend nach Personal. Etwa 30 Stellen sind unbesetzt. Interessenten haben die freie Auswahl zwischen Jobs etwa in Birkach, Asemwald oder drei Kitas in Vaihingen. In einer, Maximilian Kolbe, mussten ebenso im vergangenen Jahr Zeiten vorübergehend verkürzt werden, in Büsnau, wo derzeit zwei Stellen frei sind und erst im Mai neues Personal kommt, werden Kinder aktuell nur sechs statt acht Stunden gehütet. „Uns ist bewusst, dass dies viele berufstätige Eltern in eine schwierige Situation bringt“, sagt Nicole Höfle, die Sprecherin des katholischen Stadtdekanats.

Auch andere Träger tun sich schwer. Das Netzwerk Konzept-e betreibt 40 Kinderhäuser und eröffnet laut der Sprecherin Lisa Breiter in Fellbach bald die dritte Erzieherfachschule, in der auch Quereinsteiger qualifiziert werden. Dennoch gibt es offene Stellen. Betroffen ist etwa die Vaihinger Kita Junges Gemüse. Sie öffnet momentan nur in der Hauptkernzeit, seit Herbst sind die Randzeiten gestrichen. Im April erwartet das Team zwar neues Personal, wie es dann weitergeht, ist aber unklar.

Deshalb stockt die Nachwuchssuche

Der Bedarf an Personal steigt überproportional, sagt Matthias Schneider, Sprecher der Gewerkschaft GEW. Eine Erzieherin steige zwar mit etwa 3000 Euro brutto ein, sagt er, allerdings nach nicht selten unbezahlten Lehrjahren plus Schulgeld. „Es gibt verschiedene Faktoren, warum die Nachwuchssuche stockt, und die Bezahlung ist einer“, sagt er. Die Konsequenzen sind dramatisch. Tübingen: Kindergarten geschlossen. Ludwigsburg: Ganztagsbetreuung gestrichen. Auch in Herrenberg werden Öffnungszeiten verkürzt, weil in den 27 städtischen Einrichtungen 25 Fachkräfte fehlen. Laut GEW bräuchte es bundesweit 100  000 Kollegen akut. Allein in Stuttgart werden etwa 1700 Mitarbeiter benötigt, um den Rechtsanspruch zu erfüllen, so ein Rathaussprecher.

„Arbeitgeber müssen kreativ sein“, sagt Matthias Schneider über die Personalsuche. Gelockt wird in Stuttgart unter anderem mit übertariflicher Bezahlung, auch bei der katholischen Kirche. Zudem hat der konfessionelle Träger die Zahl der Ausbildungsplätze aufgestockt und bietet quasi eine Übernahmegarantie, in Anzeigen werden WG-Zimmer offeriert.

Ein Ritt auf der Rasierklinge

Auch in Leinfelden-Echterdingen bemühe man sich um Erzieher, sagt Manfred Kern, der zuständige Amtsleiter: „Wir reiten an manchen Stellen auf der Rasierklinge.“ Interessenten hätten „im Regelfall mehrere Eisen im Feuer“. Punkten will man mit einem ÖPNV-Zuschuss, zudem spielt die Verwaltung mit dem Gedanken, das Kita-Bauprogramm in Echterdingen am Stangen-Kreisel um Wohnungen für Erzieher zu erweitern. In Filderstadt, wo in der kommunalen Kita am Schubertweg – der größten in der Stadt mit zehn Gruppen – nun freitagnachmittags wegen Personalmangels zu ist, will die Verwaltung ein Maßnahmenbündel schnüren und alsbald dem Gemeinderat vorlegen. Laut dem Ersten Bürgermeister Andreas Koch soll es auch Anwerbeversuche von Kräften aus dem Ausland beinhalten.

Für die Schöpplers in Heumaden jedenfalls ist die Krise da. Erst im Sommer, wenn ein Schwung Kinder die Kita verlässt und der Aufnahmestopp greift, soll sich die Situation entspannen. Vom Träger sind sie enttäuscht. Angebote, dass Eltern ehrenamtlich aushelfen, seien ausgeschlagen worden. Nicole Höfle argumentiert indes unter anderem mit versicherungsrechtlichen Gründen. Beruf und Kind? Für Caroline Backes-Schöppler aktuell nur schwer vereinbar. „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich zurückgeworfen werde in die 50er Jahre.“