Jahrzehntelang versuchte auch Baden-Württemberg, Extremisten vom Staatsdienst fernzuhalten. Grün-Rot lässt sich nun auf Gespräche darüber ein, ob das Land dafür büßen muss.
Stuttgart - Voraussichtlich am 19. Juni werden sich zwei Abgeordnete der Grünen sowie eine Mandatsträgerin der SPD mit der „Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlass“ in Stuttgart erstmals zusammensetzen. Dies ist jedenfalls der Termin, den der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Hans-Ulrich Sckerl, dem Sprecher der Initiativgruppe, Klaus Lipps, vor wenigen Tagen per Mail vorgeschlagen hat.
Lipps und seine Mitstreiter fordern seit Jahren, dass sich das Land für den Erlass entschuldigt. Zudem wollen sie eine Rehabilitierung sowie eine Entschädigung für jene, die durch den Erlass in Not geraten seien.
Unter dem Eindruck der Studentenproteste sowie der ersten RAF-Morde hatte Anfang 1972 die Ministerpräsidenten-Konferenz unter dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) beschlossen, Bewerber und Mitglieder im öffentlichen Dienst vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Wer Mitglied in Organisationen wie der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) war, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird, bekam daraufhin ein Problem: Bundesweit kam es in der Folge des Erlasses zu 1100 Berufsverboten: Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden nicht eingestellt, bereits verbeamtete Staatsdiener entlassen. Insgesamt wurden rund 11 000 Disziplinarverfahren eingeleitet.
Baden-Württemberg war eines der letzten Bundesländer, die den Radikalenerlass in ihrem Verantwortungsbereich aufhoben: Seit 1991 gibt es keine Regelanfrage beim Verfassungsschutz mehr.
Laut Lipps gibt es im Land „weit über 200 Betroffene“ des Erlasses. Im April 2012 hatte sich die Initiative in einem offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewandt, der selbst vom Radikalenerlass betroffen war: Als Student war Kretschmann im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv gewesen – eine Mitgliedschaft, die er rückwirkend als „fundamentalen Irrtum“ bezeichnete. Aufgrund dieser Mitgliedschaft hätte Kretschmann fast nicht Gymnasiallehrer werden können.
Dass sich die Regierungsfraktionen nun mit den Betroffenen zusammensetzen, ist laut Lipps kein Akt der Gnade, sondern sei dem öffentlichen Druck zu verdanken. Seit Dezember vorigen Jahres bombardieren er und seine Mitstreiter die Abgeordneten mit Mails.
Bei Grünen und SPD ist die Neigung allerdings nicht groß, die Forderungen sofort und umfassend zu erfüllen. „Wir wollen zunächst einmal zuhören“, sagt der Sprecher der Grünen-Fraktion, für die neben Sckerl noch die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Beate Böhlen, teilnehmen wird. Laut dem Sprecher wollen die Grünen erst einmal das Problem wissenschaftlich aufarbeiten lassen, bevor sie über Entschuldigungen oder Weitergehendes entscheiden. „Alles andere kommt im Nachgang“, so der Sprecher. Auch die SPD-Fraktion, für die sich die Tübinger Abgeordnete Rita Haller-Haid an den Runden Tisch setzen wird, hat nicht vor, den Radikalenerlass als großes Unrecht abzustempeln. „Da kommt garantiert nicht der große Knall“, sagte Fraktionschef Claus Schmiedel unserer Zeitung.
Schmiedel wies darauf hin, dass von dem Erlass zwar mehrheitlich Linksradikale betroffen waren, aber eben auch Rechtsradikale wie NPD-Mitglieder. Diese würden mit demselben Duktus gegen den Erlass zu Felde ziehen. „Meine Fraktion hat überhaupt keine Lust, solche Rechtsextremisten nachträglich zu rehabilitieren und womöglich doch noch in den Staatsdienst zu übernehmen“, so Schmiedel. Im Übrigen sei das Vorgehen damals von Gerichten geprüft worden.
Laut Lipps hinkt der Vergleich mit Rechtsextremen: Diese hätten in der Regel ganz konkrete Verstöße begangen. „Wir hingegen wurden als Verfassungsfeinde abgestempelt, obwohl man uns keine konkreten Vorwürfe machen konnte.“
Lipps (73) war – halb aus Protest gegen den Erlass. halb aus Überzeugung – damals der DKP beigetreten. 17 Jahre kämpfte der Badener gegen das Berufsverbot – und bekam am Ende recht. Am 19. Juni will er zwölf weitere Betroffene zu dem Treffen mitbringen sowie einen Rechtsanwalt.