Deutschland als Gorilla mit Pickelhaube: Propagandaplakat der USA aus dem Jahr 1917 Foto: US government

Im Ersten Weltkrieg wird auch an der Propaganda-Front verbissen gekämpft. Doch nach der Zerstörung Löwens stehen die Deutschen bereits im August 1914 auf verlorenem Posten.

Löwen - „Wenn es einen gerechten Gott im Himmel gibt, müssen wir den Krieg verlieren wegen der Gräuel, die wir in Belgien verübt haben“, beichtet Prinz Max von Sachsen im September 1914 unter Tränen einem befreundeten Geistlichen. Bereits am zweiten Tag des Einmarschs findet das erste Massaker statt, Tausende Zivilisten werden in den ersten Wochen erschossen, weil man sie für Freischärler hält, ganze Ortschaften in Schutt und Asche gelegt. „Alle Gehöfte ringsum, aus denen auf deutsches Militär geschossen wurde, standen in Flammen. Es war ein schauerlicher Anblick“, schreibt der Kriegsfreiwillige Paul Hub aus Stetten.

Lesen Sie mehr in unserem Special "Erster Weltkrieg"

Das brutale Vorgehen wird von der obersten Führung ausdrücklich gebilligt, im Ausland lösen die Vergeltungsmaßnahmen gegen vermeintliche und tatsächliche Heckenschützen jedoch Entsetzen aus. Sie liefern der französischen und englischen Presse Stoff, um die eigene Bevölkerung von der Notwendigkeit des Kriegs zu überzeugen und das neutrale Ausland für sich zu gewinnen – das Transatlantikkabel der Deutschen haben die Briten bereits zu Kriegsbeginn gekappt, so dass sie in den ersten Wochen quasi über ein Nachrichtenmonopol verfügen. Wegen eines Attentats auf einen österreichischen Erzherzog wollen in Großbritannien nur die wenigsten in den Krieg ziehen. Das ändert sich, als die ersten Meldungen von deutschen Kriegsverbrechen in Belgien eintreffen, und auch in den neutralen Staaten kippt nach und nach die Stimmung.

Dabei schien das Deutsche Reich besser auf den Propaganda-Krieg in Wort, Bild und Ton vorbereitet zu sein. Bereits bei Ausbruch der Kämpfe wird das Ausland mit Rechtfertigungen geradezu überschüttet. Die Kriegserklärung an Russland und der Angriff auf Frankreich und Belgien seien rein defensiver Natur, heißt es da. Es gelte, die deutsche und damit die europäische Kultur gegen die zaristischen Horden und die britische Krämerseele zu verteidigen. Die Zeitungen im Reich überbieten sich in Patriotismus und Kriegsbegeisterung. Kaiser Wilhelm II. ist derart entzückt, dass er einigen Journalisten bei einem Empfang zuruft: „Sie schreiben ja famos!“

Die deutsche Propaganda zielt anfangs ganz darauf ab, den Gegner zu verspotten und als unfähig darzustellen, was bei zunehmender Kriegsdauer und länger werdenden Verlustlisten immer unglaubwürdiger wird. Die französische und britische Propaganda stellt die Gegner dagegen als Inbegriff des Bösen dar, auch weil die Deutschen in Belgien eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Den „gerechten Zorn“ der Deutschen teilen die wenigsten

Seinen traurigen Höhepunkt erlebt das Wüten in Löwen – „dem Oxford Belgiens“. Seit sechs Tagen lagern deutsche Truppen in der Stadt, als am Abend des 25. Augusts plötzlich eine Schießerei ausbricht. Historiker gehen davon aus, dass sich die Truppen gegenseitig beschossen haben. Doch die Heeresleitung besteht darauf, dass Zivilisten heimtückisch deutsche Soldaten ermordet hätten, und beschließt, ein Exempel zu statuieren: Mehr als 200 Menschen werden erschossen, das jüngste Opfer ist gerade sechs Monate alt. Danach wird Haus für Haus in Brand gesetzt. Auch die Universitätsbibliothek, in der Handschriften und Bücher von unschätzbarem Wert lagern, wird Opfer der Raserei im Namen der deutschen Kultur. „Wir werden aus diesem Ort eine Wüste machen. Wir werden es ausmerzen, so dass es schwer sein wird festzustellen, wo Löwen einmal stand“, erklärt ein Offizier, der die Strafaktion überwacht, am dritten Tag des Infernos stolz einem amerikanischen Diplomaten.

Doch den „gerechten Zorn“ der Deutschen über die „Heimtücke“ der Belgier teilen im Ausland die wenigsten. Die gegnerische Propaganda hat indes ihr Thema gefunden: „The Rape of Belgium“, die Schändung Belgiens. Ende August taucht der Begriff der deutschen „Hunnen“ zum ersten Mal in der britischen Presse auf, die sich an eine martialische Rede des Kaisers aus dem Jahre 1900 erinnert, in der Wilhelm II. während des Boxeraufstands in China seinen Soldaten befiehlt: „Pardon wird keines gegeben. Gefangene werden nicht gemacht.“

Aus dem Volk der Dichter und Denker wird in der gegnerischen Presse eine Horde von Mördern und Vergewaltigern. Auf Karikaturen ist der Deutsche fortan als Menschenfresser, Monster oder Sensenmann abgebildet. Wer kleine Kinder erschießt und Bibliotheken anzündet, der ist zu allem fähig. Fortan ist keine Meldung zu abstrus, als dass sie nicht geglaubt wird. „Geliebte Lügen“ nennt sie der Historiker Klaus-Jürgen Bremm in seinem 2013 erschienenen Buch „Propaganda im Ersten Weltkrieg“. Und während deutsche Leser an glänzende Siege glauben, steht in britischen und französischen Zeitungen, dass die Deutschen Nonnen schänden, Pfadfindern die Hände abhacken und Priester an Scheunentore nageln. Gerne geglaubt wird auch die Geschichte von der Leichenfabrik, in der die Deutschen aus den Leichen ihrer Gefallenen Glycerin für die Munitionsproduktion gewinnen.

Der Krieg der Worte und Bilder ist verloren, bevor er begonnen hat

Der Brand Löwens wird zum Fanal, der Gräuel- und Hasspropaganda der Entente haben die Deutschen nichts entgegenzusetzen, zumal sie in Feindesland stehen und somit als Aggressor gelten. Der Begriff Kultur verkehrt sich ins Gegenteil, steht nicht mehr für Goethe und Schiller, sondern für Pickelhaube und Massaker. Im Herbst 1914 wird das Wort Kultur aus allen deutschen Kommuniqués getilgt. Kaum ein Ereignis habe dem Ansehen Deutschlands mehr Schaden zugefügt als das „Strafgericht von Löwen“, schreibt Ernst Piper in „Nacht über Europa“ – abgesehen von dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg und der Versenkung des Passagierschiffs „Lusitania“.

Zu einem ähnlichen Fiasko wird die Hinrichtung der englischen Krankenschwester Edith Cavell. Der Vorwurf, sie habe feindlichen Soldaten zur Flucht verholfen, ist berechtigt, das internationale Echo auf ihren Tod jedoch verheerend. Als Frankreich zwei deutsche Krankenschwestern unter ähnlichen Umständen erschießen lässt und Deutschland keinen Protest einlegt, erkundigt sich ein amerikanischer Journalist verwundert nach dem Grund des Schweigens. „Warum protestieren?“, entgegnet der zuständige Presseoffizier. Die Franzosen seien völlig im Recht gewesen, die beiden Frauen zu erschießen. Für die Psychologie der modernen Massengesellschaft hat Berlin kein Gespür. Als man bemerkt, dass Paragrafen die öffentliche Meinung weniger beeinflussen als Gefühle, ist es zu spät. Der Krieg der Worte und Bilder ist verloren, bevor er begonnen hat. Nach der „Schändung Belgiens“ zählt nicht mehr, dass auch der Gegner Kriegsverbrechen begeht. Wer glaubt schon einem Gorilla mit Pickelhaube? Nach dem Krieg wird an der Ruine der Bibliothek von Löwen ein Banner mit der Aufschrift „Ici finit la culture allemande“ angebracht: „Hier endete die deutsche Kultur.“

Lesen Sie mehr in unserem Special "Erster Weltkrieg"